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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Hoheiten ja nur, Euch eine Möglichkeit auszumalen. Stellt Euch vor, Gailon taucht in ein paar Wochen wieder auf und erklärt, Ihr hättet ihn ermorden lassen wollen — und behauptet vielleicht außerdem noch, Ihr wolltet die Zahlung des Lösegeldes für Euren Vater umgehen, damit Ihr weiterregieren könnt, und er habe dagegen protestiert oder irgend etwas Derartiges.«
    »Das wäre Verrat — Revolution!« Barrick sank wieder in seinen Sessel, plötzlich ganz schwach und elend. »Aber wie könnten wir beweisen, daß es nicht stimmt?«
    »Das ist das Problem mit Gerüchten«, sagte Avin Brone. »Es ist sehr schwer zu beweisen, daß etwas nicht wahr ist — viel schwerer als zu beweisen, daß es wahr ist.«
    »Aber warum konstruiert Ihr etwas so Unwahrscheinliches?« fragte Briony. »Ich mag Gailon nicht besonders, aber selbst wenn es die Tollys auf den Thron abgesehen hätten, würden sie doch warten, bis es irgendeine Krise gäbe — eine Mißernte oder eine Fieberseuche, noch schlimmer als die, die Barrick und die anderen Leute befallen hat. Sie würden doch wohl warten, bis die Leute richtig Angst hätten, ehe sie versuchen würden, sie gegen uns aufzuwiegeln. Die Leute kennen meinen Bruder und mich doch kaum. Wir regieren doch erst ein paar Wochen.«
    »Eben deshalb würden sie vielleicht irgendwelchen Lügen über Euch Glauben schenken«, sagte Brone.
    Briony runzelte die Stirn. »Aber selbst wenn, ist das alles nicht ein bißchen weit hergeholt? Wenn Gailon wirklich verschwunden ist und nicht nur irgendwo jagen, wie sie in Gronefeld dachten, dann gibt es doch ein Dutzend Erklärungen, die wahrscheinlicher sind, als daß er uns bezichtigen will, wir hätten ihm etwas antun wollen.«
    »Mag sein.« Der Hüne erhob sich, wobei er sich auf dem Schemel abstützte. Er nahm eine Öllampe hoch, und die Schatten im Raum zuckten. »Aber jetzt zum zweiten Teil dessen, was mich beunruhigt. Würdet Ihr bitte mitkommen?«
    Sie folgten ihm aus dem Kaminzimmer und einen schmalen, schmucklosen Gang entlang. Vor einer Tür blieb Brone stehen. »Das hier ist der Grund, weshalb ich heute nacht nicht in meinem Bett liege, Hoheiten.« Er drückte die Tür auf.
    In dem Raum brannten viele Lampen und Kerzen — weit mehr, als für ein Schlafzimmer üblich. Trotz des ganzen Lichts hatte Barrick zunächst Mühe, das seltsame Gewirr von Formen mitten auf dem Bett zu deuten: Erst nach längerem Hinsehen erkannte er, daß dort ein Mann neben einem anderen kniete, wobei der Kniende dem Liegenden den Kopf auf die Brust preßte, was sich fast wie eine Umarmung zwischen Liebenden ausnahm. Der kniende Mann hielt sich den Zeigefinger an die Lippen. Sein zerfurchtes Gesicht kam Barrick irgendwie bekannt vor. Er glaubte, es in einem seiner Albträume gesehen zu haben, und mußte einen erschrockenen Aufschrei unterdrücken.
    »Ihr kennt wohl beide Bruder Okros von der Ostmark-Akademie«, sagte Brone. »Er war hier, um Euch zu helfen, als Ihr krank wart, Barrick. Jetzt kümmert er sich um ... einen meiner Bediensteten.«
    Da war Blut auf dem Bettzeug; Bruder Okros' Hände waren ganz rot. Der Mönch sagte mit einem kurzen, zerstreuten Lächeln: »Ihr werdet verzeihen, Hoheiten. Dieser Mann ist noch nicht außer Lebensgefahr, und ich bin sehr beschäftigt.«
    Der Mann auf den blutbesudelten Laken hatte einen dunklen, ungestutzten Bart, und seine Haut, sein Haar und seine Kleidung waren sehr schmutzig, aber selbst in gepflegtem und sauberem Zustand wäre er keine Erscheinung gewesen, die man eines zweiten Blickes gewürdigt hätte. Seine Augen waren starr an die Decke gerichtet, die Zähne zusammengebissen, als sollten sie seinen mühsam und keuchend gehenden Atem zurückhalten. Sein Hemd war aufgerissen, und Bruder Okros' Finger steckten tief in einem gräßlichen Loch in der Brust des Mannes, unterhalb des Schlüsselbeins.
    »Einen Augenblick«, sagte der Priester-Arzt, und jetzt endlich erkannte Barrick die Stimme, wenn schon nicht das Gesicht. Diese Stimme war durch einen seiner Fieberträume gedriftet, hatte irgend etwas von einem richtigen Verhältnis und einem verbesserten Gleichgewicht geredet. »Da steckt immer noch eine abgebrochene Pfeilspitze drin. Ich ... ahal Da ist sie ja.« Bruder Okros setzte sich auf, in den Fingern eine blutige kleine Zange, die etwas gepackt hielt, das wie ein Stückchen Metall aussah. Er drehte seinen Patienten vorsichtig, aber resolut um — was dem Verwundeten ein tiefes und nur teilweise vom Bettzeug

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