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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Sonne folgte, so zeigte sich rasch, daß diese Sonne gerade unterging. Schon nach kurzer Zeit — höchstens einer Stunde, wie es schien — taumelten sie im Kreis. Nicht einmal das hätte Vansen im verrückten Labyrinth dieses Waldes feststellen können, wäre Saddler nicht auf sein eigenes Wehrgehänge getreten, das er gleich zu Beginn des Tagesmarsches verloren hatte.
    Erschöpft und verzweifelt sank Vansen zu Boden und kauerte da, das Gesicht in den Händen; er rechnete schon fast damit, daß Saddler ohne ihn weitergehen würde, und es war ihm ziemlich gleichgültig. Doch zu seinem Erstaunen spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
    »Wo sind sie, Ferras? Sie waren so schön.« Trotz des dunklen Barts sah Collum Saddler aus wie ein Kind, mit großen Augen und zitternden Lippen.
    »Weitergezogen«, sagte Vansen. »Weitergezogen, um unsere Freunde und Familien umzubringen.«
    »Nein.« Saddler schien regelrecht aufgebracht. »Nein, sie bringen etwas, aber nicht den Tod. Habt Ihr sie nicht gehört? Sie holen sich nur zurück, was schon einmal ihres war. Das ist alles, was sie wollen.«
    »Aber auf dem, was schon einmal ihres war, leben jetzt Menschen. Menschen wie wir.« Vansen wollte nur das eine: sich hinlegen und schlafen. Er fühlte sich, als schwämme er schon unendlich lange in diesem Meer von Bäumen, ohne das kleinste bißchen Land in Sicht. »Meint Ihr, die Bauern und Kätner werden einfach aufstehen und weggehen, damit Eure Zwielichtler ihr Land wiederhaben können? Vielleicht können wir ja auch die Südmarksfeste abreißen und sie in Jellon oder Perikal wieder aufbauen, wo sie ihnen nicht im Weg ist.«
    »Oh, nein«, sagte Saddler völlig ernst. »Die Feste wollen sie auch zurück. Die gehört ihnen auch. Habt Ihr sie nicht gehört?«
    Vansen schloß die Augen, aber davon wurde ihm nur schwindelig. Er irrte hinter der Schattengrenze herum, mit einem Verrückten. »Ich habe nichts gehört.«
    »Sie haben gesungen! Ihre Stimmen waren so schön .. .!« Jetzt war es Saddler, der die Augen zukniff. »Sie sangen ... sie sangen ...« Das Kindergesicht sackte wieder herab, als ob er jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. »Ich weiß nicht mehr! Ich weiß nicht mehr, was sie gesungen haben.«
    Das waren die ersten erfreulichen Worte, die Vansen seit Stunden hörte. Vielleicht kehrte Saddlers Verstand ja zurück.
Aber warum bin ich nicht auch verrückt?
fragte er sich.
    Aber andererseits, woher weiß ich, daß ich es nicht bin?
    »Kommt«, sagte der Soldat und zog an seinem Arm. »Sie gehen weg.«
    »Wir können sie nicht einholen. Wir haben wieder die Orientierung verloren.« Vansen schluckte seinen Ärger hinunter. Was auch immer der Grund dafür sein mochte, daß Collum Saddlers Verstand getrübt war und seiner nicht oder jedenfalls nicht so schlimm, Saddler konnte nichts dafür. »Wir müssen hier herauskommen, aber nicht, um den Zwielichtlern in den Krieg zu folgen.« Ein paar letzte Fetzchen von Pflichtgefühl schienen alles zu sein, was ihn noch aufrecht hielt. Er klammerte sich daran. »Wir müssen es der Prinzessin sagen ... und dem Prinzen. Wir müssen es Avin Brone sagen.«
    »Ja.« Collum nickte. »Die werden sich freuen.«
    Vansen stöhnte leise und machte sich daran, genug feuchte Zweige für ein Feuer zusammenzusuchen. »Irgendwie glaube ich das nicht.«
     
    Nach einer Serie schrecklicher Träume, in denen ihn gesichtslose Männer durch nebelverhangene Gärten und unbeleuchtete Gänge verfolgten, gab Ferras Vansen das Schlafen auf. Er wärmte sich die Hände am Feuer und grübelte über ihre hoffnungslose Situation, aber er war erschöpft, und ihm fiel nichts Brauchbares ein. Als Landkind hätte er sich nie vorstellen können, daß er einmal etwas so Vertrautes wie Wald so hassen könnte, etwas so Alltägliches wie ganz normale Bäume, aber natürlich war hier gar nichts normal. Äußerlich wohlbekannt — er hatte Eichen und Buchen, Ebereschen, Birken und Erlen gesehen und an den hochgelegenen Stellen viele verschiedene Arten von Nadelbäumen —, schienen die tropfenden Bäume dieses feuchten Schattenwaldes ein Eigenleben zu besitzen, eine stumme, finstere Präsenz, absichtsvoll und mächtig. Wenn er die Augen halb zumachte, konnte er sich fast vorstellen, sie wären Priester und Priesterinnen in graugrünen Gewändern, hochgewachsen und stattlich und den Eindringlingen hier auf ihrem heiligen Boden nicht sonderlich wohlgesonnen.
    Als Collum Saddler schließlich die Augen aufschlug,

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