Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Bücher gestolpert, habe ganze Stapel umgerissen. Er hatte sämtliche Bücher der Bibliothek auf dem Fußboden zu Türmen gestapelt, und auf jedem Turm stand ein Kerzenhalter. Ich habe bei meiner Flucht bestimmt ein halbes Dutzend Büchertürme umgeworfen — ich weiß nicht, warum dieser verdammte Turm in jener Nacht nicht abgebrannt ist. Ich wollte, er wäre in Flammen aufgegangen. Ich wollte, er wäre niedergebrannt!« Er atmete jetzt keuchend wie ein Rennläufer kurz vor dem Ziel. »Schließlich kam ich zur Tür. Er hat mich verfolgt und dabei die ganze Zeit geknurrt und geflucht und Unsinn geredet. Am oberen Ende der Treppe hat er mich gepackt, wollte mich wieder in die Bibliothek zerren. Ich ... ich habe ihn in die Hand gebissen, da hat er losgelassen. Ich bin die Treppe hinuntergestürzt.
    Als ich wieder aufwachte, war es am nächsten Tag, und Chaven richtete gerade die Knochen meines Arms — oder versuchte es zumindest. Ich konnte kaum denken, vor Schmerz und weil mein Schädel bei dem Treppensturz durchgerüttelt worden war. Chaven sagte, Vater habe mich am Fuß der Treppe im Sommerturm gefunden, was wahrscheinlich stimmt. Er habe mich selbst zu Chaven getragen, habe geweint, wegen meiner Verletzungen, und ihn angefleht, mich zu heilen. Was wahrscheinlich auch stimmt. Aber Chaven sagt, Vater habe mich im Morgengrauen zu ihm gebracht, was heißt, daß er mich die ganze restliche Nacht dort hat liegen lassen. Die offizielle Geschichte war, daß ich ihn gesucht hatte und im Dunkeln die Treppe hinuntergefallen war.«
    Briony konnte kaum denken. Wie Barrick in jener Nacht durchlebte auch sie in wachem Zustand einen Albtraum. »Aber ... Vater? Warum sollte er so etwas mit dir machen? Hatte er ... war er betrunken?« Es war schwer vorstellbar, daß ihr enthaltsamer Vater sich in einen so finsteren, tobsüchtigen Zustand getrunken haben sollte, aber anders war es nicht erklärbar.
    Barrick zitterte immer noch, aber nur leicht. Er versuchte, sich aus ihren Armen zu winden, aber sie hielt ihn fest. »Nein, Briony. Er war nicht betrunken. Du hast den Rest noch nicht gehört. Du wirst es bestimmt nicht glauben wollen, aber hör's dir an.«
    Sie wollte nicht noch mehr hören, wagte es aber nicht, Barrick loszulassen, aus Angst, daß er dann irgendwie wegfliegen würde, so wie der halbzahme Sperber, den sie verloren hatte, als sein Geschüh gerissen war und er sich in weiten Kreisen emporgeschraubt hatte und nie mehr wiedergekommen war. Sie hielt ihn noch fester, so daß sie einen Moment lang fast schon miteinander rangen und die Decken sich um Barricks Beine wickelten, bis er schließlich aufgab. »Ich habe immer schon Albträume gehabt«, sagte er schließlich leise. »Ich habe geträumt, daß da Männer sind, die mich beobachten, Männer aus Rauch und Blut, die mich durch die ganze Burg verfolgen, die darauf lauern, mich allein zu erwischen, um mich zu entführen oder mich irgendwie zu einem von ihnen zu machen. Jedenfalls habe ich immer geglaubt, daß es Träume sind. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Aber seit jener Nacht habe ich einen Traum, der noch schlimmer ist. Da ist immer er — sein Gesicht, aber es ist nicht sein Gesicht. Es ist das Gesicht eines Fremden. Als er hinter mir herrannte, sah er aus wie ... wie ein wildes Tier.«
    »Oh, mein armer Barrick ...«
    »Vielleicht wirst du ja beschließen, vorsichtiger mit deinen Sympathien umzugehen.« Seine Stimme war halb vom Kopfkissen erstickt. Er schien in ihren Armen geschrumpft zu sein, hatte sich ganz zusammengerollt. »Du weißt ja, ich lag wochenlang im Bett. Kendrick kam und brachte mir Sachen, du bist jeden Tag gekommen und hast mit mir gespielt oder es jedenfalls versucht ...«
    »Du warst so still und blaß. Das hat mir angst gemacht.«
    »Mir auch. Und Vater kam ebenfalls, blieb aber immer nur ganz kurz. Weißt du, ich hätte ja vielleicht sogar geglaubt, daß alles nur ein Albtraum war — daß ich einfach nur geschlafwandelt und dabei die Treppe hinuntergefallen war —, wenn es nicht so gewesen wäre, daß er einfach nicht in meiner Nähe sein konnte, ohne nervös zu werden und meinem Blick auszuweichen. Und dann, eines Tages, als ich endlich wieder aufstehen und im Haus herumhumpeln konnte, statt an dieses verfluchte Bett gefesselt zu sein, rief er mich in seine Gemächer.
›Du erinnerst dich dran, was?
‹ war das erste, was er sagte. Ich nickte. Ich hatte fast so große Angst wie in der Nacht, als es passiert war. Ich dachte, ich hätte

Weitere Kostenlose Bücher