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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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wandte sich an Giebelgaup, mit dem er jetzt hier oben allein war. »Und ... was machen wir jetzt?«
    »Bringt mich zu etwas, das des Knaben ist«, schlug der kleine Mann vor. »Auf daß ich eine Probe nehme von selbgens Witterung.«
    »Wir haben sein zweites Hemd und sein Bett, also nehme ich Euch wohl am besten mit nach Hause. Wollt Ihr auf meiner Schulter reiten?«
    Giebelgaup bedachte ihn mit einem undeutbaren Blick. »Ich hab Euch klettern sehn. Giebelgaup wird für den Abstieg seine eignen Wege wählen und Euch am Boden wieder treffen.«
     
    Es überraschte Chert nicht weiter, daß der Dachrinnenkundschafter bereits auf ihn wartete, als er das Kopfsteinpflaster erreichte. Die Vormittagssonne stand hoch hinter den Wolken — vielleicht noch eine Stunde bis Mittag. Chert war müde und hungrig und nicht sonderlich glücklich. »Wollt Ihr zu Fuß gehen?« fragte er, bemüht, Rücksicht auf die Gefühle des Dachlings zu nehmen.
    »Oh, ja, wenn wir drei Tage für die Wandrung hätten«, erwiderte Giebelgaup ein wenig schnippisch. »Ihr botet mir doch Eure Schulter für den Ritt. Ich werde reiten.«
    Chert bückte sich und ließ den kleinen Mann auf seine Hand steigen. Es war ein komisch kitzliges Gefühl. Als er Giebelgaup auf seine Schulter setzte, kam ihm erstmals der Gedanke, wie riesig selbst dieser kleine Hof für einen so kleinen Wicht sein mußte. »Wart Ihr schon oft am Boden?«
    »Auf richtgem Boden? Ja, ein-, zweimal oder öfter«, erklärte Giebelgaup. »Ich bin kein Stubenhocker. Nicht Ratz noch Falk, ja gar nichts außer Katzen, das Giebelgaup, den Bogenschützen, schreckt, sofern ich meinen guten Bogen bei mir trage.« Er schwenkte den kleinen, dünnen Holzbogen, aber sein nächster Satz klang schon etwas weniger selbstbewußt. »Gibt's Katzen dort in Eurem Haus?«
    »Es gibt in der ganzen Funderlingsstadt kaum welche. Sie werden alle von den Drachen gefressen.«
    »Ihr habt gut spotten«, sagte der kleine Mann würdevoll. Plötzlich schämte sich Chert. Der kleine Kerl mochte ja den Mund ein wenig voll nehmen und nicht viel von Cherts Kletterkünsten halten, aber er hatte ihm aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus seine Hilfe angeboten und sich in eine Welt monströser Riesen gewagt. Chert versuchte sich vorzustellen, wie sich das anfühlen mußte, und befand, daß Giebelgaup das Recht auf ein bißchen Prahlerei hatte.
    »Entschuldigung. Es gibt Katzen in der Funderlingsstadt, aber nicht in unserem Haus. Meine Frau mag Katzen nicht besonders.«
    »Wohlan denn«, sagte der Dachling. »Es sind wohl hundert Jahre oder mehr, daß zuletzt ein Dachrinnenkundschafter in den tieferen Gefilden weilte, und heut wird Giebelgaup, der Bogenschütz, dort sein, wohin kein anderer sich wagt.«
    »Kein anderer Dachling, meint Ihr«, sagte Chert, der jetzt über den Tempelhof in Richtung Tor ging. »Wir Funderlinge sind ja ziemlich oft dort.«

    »Wo ist Euer Bruder? Prinz Barrick sollte hier sein.« Avin Brones Ton hätte nicht mißbilligender sein können, wenn sie ihm eröffnet hätte, daß sie die Regentschaft über die Markenlande einer Versammlung von Bauerntölpeln zu übergeben gedachte.
    »Er ist krank, Graf Brone. Er wäre hier, wenn er könnte.«
    »Aber er ist Mitregent ...«
    »Er ist
krank.
Glaubt Ihr mir nicht?«
    Der Konnetabel hatte inzwischen gelernt, daß er sie trotz des Größen-, Alters- und Geschlechtsunterschieds nicht niederstarren konnte. Er raufte sich den Bart und murmelte irgend etwas. Sie war so taktvoll, nicht nachzufragen, was er gesagt hatte.
    »Hendon Tolly macht jetzt schon Ärger«, sagte Tyne Aldritch von Wildeklyff, einer der wenigen Edelleute, die sie zur Anhörung des Gardehauptmanns hinzugebeten hatte. Aldritch war, vor allem ihr gegenüber, so kurz angebunden, daß es oft schon an Unhöfiichkeit grenzte, aber sie hielt es für einen Ausdruck grundlegender Ehrlichkeit. Über die Jahre hatten sich Indizien angesammelt, die diesen Schluß stützten, aber ihr war klar, daß sie sich dennoch irren konnte — keiner aus dem engeren Kreis der Gefolgsleute war so offen und ohne Falsch, wie er sich gab. Das hatte Briony schon sehr jung gelernt. Wer hätte es sich auch leisten können, so zu sein? In Brionys Ahnengalerie gab es Herrscher, die unter ihren eigenen Edelleuten schlimmer gewütet hatten als auf dem Schlachtfeld.
    »Und was macht mein reizender Vetter Hendon?« Sie nickte, als ein weiterer, von ihr nur unwesentlich höher geschätzter Verwandter zur Kronratsrunde stieß:

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