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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bruders und Eurem Versagen ist noch nicht abgeschlossen, aber bis wir wieder bessere Zeiten haben, werde ich sie beiseite schieben und Ihr auch. Und wenn Ihr mir gute Dienste leistet ... wenn Ihr Südmark gute Dienste leistet ... dann könnte es sein, daß das Kapitel jener Nacht getilgt oder zumindest durchgestrichen wird.«
    »Ich werde alles tun, was Ihr verlangt, Hoheit.« Sein Gesichtsausdruck jetzt war schwer zu entziffern, euphorisch und unglücklich zugleich, so daß er für einen Moment aus einem völlig anderen Wandbild herabgestiegen schien.
    Ihr seid ein seltsamer Mensch, Ferras Vansen,
dachte sie.
Vielleicht täusche ich mich ja in der Annahme, daß Ihr jemand seid, der keine Geheimnisse in sich trägt.
»Dann geht jetzt. Sammelt die Männer, die mit Euch zurückgekehrt sind. Sorgt dafür, daß sie Essen und Ruhe bekommen, aber laßt sie auf keinen Fall von hier weg. Ich werde morgen früh selbst mit ihnen sprechen.«
    »Ja, Hoheit.« Er stand auf, blieb aber zögernd stehen. »Prinzessin Briony ...«
    »Sprecht.«
    »Da ist noch eine junge Frau — ich glaube, ich habe Euch von ihr erzählt.«
    Kalter Ärger erfaßte sie. »Was ist mit ihr? Wir können sie ebensowenig gehen lassen, auch wenn sie verrückt und mitgenommen ist. Ich bedaure. Sorgt dafür, daß sie es bequem hat.« Ihre Augen verengten sich. »Hegt Ihr irgendwelche Gefühle für sie?«
    »Nein!« Er wurde rot: Sie war sich sicher, daß sie einen Nerv getroffen hatte. Das ließ sie noch kühler werden, ohne daß sie wußte, warum. »Nein, Hoheit. Verantwortungsgefühl vielleicht — sie ist wie ein Kind, und sie vertraut mir. Aber obwohl sie der Magie der Schattengrenze ebenso anheimgefallen schien wie Saddler und die anderen, hat sie uns doch wieder hinausgeführt. Sie schien irgendwie dazwischenzustehen ...«
    »Wir haben weder die Zeit noch die Geduld, uns mit einer unglücklichen jungen Frau zu befassen. Wenn der Zauber sie ergriffen und verwirrt hat, dann nützt sie uns nichts. Macht es ihr möglichst bequem. Und bringt mir die anderen morgen früh um zehn Uhr.«
    Vansen verbeugte sich und ging hinaus, nicht ganz wie ein Begnadigter, aber doch wie jemand, der festgestellt hat, daß die Galgenbauer allesamt an einem bösen Fieber daniederliegen.
    Sie blieb noch eine ganze Weile sitzen, und ihre Gedanken waren ein einziger Wirbel. Ihr blieb nur eine Stunde, bis sie sich mit den Edelleuten beraten und einen Kriegsplan entwickeln mußte. Sie wäre gern zu Utta gegangen — sie sehnte sich nach der Weisheit und Ruhe der Zorienschwester —, wußte aber, daß sie einen wichtigeren Besuch zu machen hatte. So kompliziert ihre Gefühle auch sein und so schreckliche Dinge auch auf ihm lasten mochten, sie wollte diese Ratsversammlung nicht ohne ihren Zwillingsbruder abhalten.

    Die Geißel der Zitternden Ebene stand am Waldrand einer Hügelflanke und sah hinab ins Tal und auf die kleine Stadt zu beiden Seiten des Flusses. Die Sonne war hinter den Hügelkuppen verschwunden, und überall im düsteren Tal brannten schon Lampen, obwohl es erst in einer Stunde gänzlich dunkel sein würde.
    Yasammez drehte sich um und schickte ihre Gedanken aus, den Schattenmantel hinter ihr zu erfühlen. Das sorgsame Gewebe aus uraltem Zauberwerk, das sie jetzt seit Tagen hinter sich herzog wie einen Umhang aus Nebel, diese mächtige, menschenverwirrende Essenz des Herzlands der Qar, die ihr marschierendes Heer verhüllt und geschützt hatte, war jetzt aufs äußerste gedehnt und bereits sehr dünn. Sie wußte, daß der Mantel nicht weiter reichen würde, daß sie von jetzt an unter der hellen Sonne oder den unverschleierten Sternen weiterziehen mußte. Deshalb wartete sie die Nacht ab.
    Das Kriegssiegel glühte auf ihrer Brust wie ein Stück Kohle. Sein Gewicht war tröstlich und beängstigend zugleich. So viele Jahre hatte sie auf diese Stunde gewartet. Was auch immer geschehen würde, es würde in hohem Maße von ihren Entscheidungen abhängen, und sie wollte es auch nicht anders. Dennoch, viele würden ihr Leben lassen, und es würden zu einem großen Teil ihre eigenen Leute sein. Wie fast allen Kriegern, auch den grimmigsten, fiel es ihr nicht leicht, die eigenen Leute sterben zu sehen, ganz gleich wofür.
    Im Wald auf der Hügelkuppe hatte sich ihr Heer gesammelt. Jetzt, da der Schattenmantel schon so dünn war, funkelten die Augen ihrer Kämpfer im hereinbrechenden Dunkel wie ein Himmel voller Sterne. Sie hatten keine Feuer entzündet. Später, wenn sie erst

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