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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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preßte das Gesicht in den Stoff des Ärmels. Wie ein Hund schnuppernd, arbeitete er sich bis zur Achsel. Schließlich erhob er sich wieder, schloß die Augen und stand einen Moment schweigend da. »Ich glaub, ich hab sie«, sagte er. »Sie bietet sich mir um so leichter dar, als ich den Jungen schon auf jenem Dache roch und selbgem in der Tat ein ganz besondres Rüchlein eigen ist.« Er öffnete die Augen, sah Chert und Opalia an und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich will Euch nicht zu nahe treten, jedoch für mich riecht dieser Junge gar nicht nach Euch zween.«
    Chert war kurz davor zu lachen. »Da ist nichts Peinliches dabei. Er ist nicht unser leibliches Kind. Wir haben ihn gefunden und aufgenommen.«
    Giebelgaup nickte wissend. »An keinem hiesgen Ort gefunden, möcht ich meinen. Richtig?«
    »Ja«, sagte Opalia leicht beunruhigt. »Woher wißt Ihr das?«
    »Er riecht nach Fernren Dächern.« Giebelgaup wandte sich an Chert. »Was ist, tragt Ihr mich jetzt?«
    »Tragen ...?«
    »Auf seine Fährte, Hier drinnen ist zuviel von seinem Duft. Wo sich die Luft bewegt, da muß ich hin — ich denke doch, daß selbst in diesen muffgen Höhlen ein solcher Ort zu finden ist.«
    Chert hob den Wicht vorsichtig wieder auf seine Schulter. Er war müde bis in die Knochen, aber es war ja wohl immer noch besser, etwas zu tun, als einfach nur zu warten. »Kommst du mit?« fragte er seine Frau.
    »Und wer soll dann hier sein, falls er kommt?« sagte Opalia entrüstet, als ob der Junge nur mal eben mit den Nachbarskindern ein Kellerasselrennen veranstaltete und jederzeit zurückkommen konnte. »Geh du, Chert, und laß mir diesen Burschen schnüffeln, soviel er muß. Finde mir den Jungen.« Sie wandte sich Giebelgaup zu, hob ihre Schürze ein wenig an und machte einen seltsam steifen Knicks. Sie lächelte sogar, obwohl es ihr sichtlich schwerfiel, was Chert wieder bewußt machte, daß nicht nur er vom Schlafmangel und von der Angst ausgelaugt war. »Wir danken Euch und Eurer Königin«, sagte sie.
    Chert gab Opalia noch einen Kuß, bevor er ging, und fragte sich, wie viele Tage es her war, daß er zuletzt daran gedacht hatte, sich so zu verabschieden. An der Tür drehte er sich noch einmal um, wünschte aber sofort, er hätte es nicht getan; Seine Frau stand mitten im Zimmer, rang die Hände und sah die Wände an, als ob sie etwas suchte. Jetzt, da kein Gast mehr im Haus war, war ihr Gesicht schlaff vor Kummer — es war das Gesicht einer Fremden und einer alten Fremden obendrein. Zum erstenmal vermochte Chert darin nicht mehr die Züge des jungen Mädchens zu erkennen, in das er sich einst verliebt hatte.

    Hauptmann Ferras Vansen kam in die Kapelle zurück wie ein zum Tode Verurteilter, der tapfer dem Galgen entgegenschritt. Sein Gesicht, dachte Briony, war ein bißchen wie das idealisierte Antlitz Perins auf dem Wandbild über der Tür, das den Gott zeigte, wie er seinem Bruder Erivor die Herrschaft über die Flüsse und Meere übertrug. Aber bei dem Himmelsgott war das Gesicht eine Maske harter, männlicher Schönheit; Vansen hingegen wirkte, obwohl er gar nicht schlecht aussah, einfach nur erstarrt.
    Er kniete vor ihr nieder und senkte den Kopf. Sein Haar war jetzt fast trocken, kringelte sich an den Spitzen. Gerührt vom Anblick seines verletzlichen Nackens, empfand sie plötzlich fast so etwas wie Zärtlichkeit für ihn. Er sah auf, und sie fühlte sich irgendwie ertappt, mußte eine Woge warmen Ärgers niederkämpfen.
    »Darf ich sprechen, Hoheit?«
    »Ihr dürft.«
    »Was Ihr auch von mir haltet, Prinzessin Briony, ich bitte Euch noch einmal, hegt keinen Groll gegen die Männer, die mit mir waren. Es sind tapfere Soldaten, und sie mußten Dinge bestehen, die keiner von uns je gesehen oder gefühlt hatte. Bestraft mich, wie es Euch beliebt, aber nicht sie, ich flehe Euch an.«
    »Findet Ihr nicht, Ihr seid ein wenig hochmütig, Vansen?«
    Seine Augen wurden weit. »Hoheit?«
    »Ihr geht davon aus, daß Ihr etwas Ungeheuerliches getan habt, wofür Ihr bestraft werden müßtet. Ihr scheint wie Kupilas, der Lebensspender, zu glauben, Euer Verbrechen sei so enorm, daß Euer Kopf als abschreckendes Exempel am Berg auf einen Pfahl gespießt gehört, damit die Raben bis in alle Ewigkeit daran herumpicken. Dabei seid Ihr, soweit ich sehe, nur ein Soldat, der eine Mission unzulänglich erfüllt hat.«
    »Aber der Tod Eures Bruders ...«
    »Es stimmt, ich habe Euch noch nicht verziehen, daß Ihr die Geschehnisse

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