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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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ernst. Aldritch, Ihr und die anderen müßt entscheiden.«
    Der Graf von Wildeklyff räusperte sich. »Nun gut, Hoheit, dann sage ich, wir müssen den ganzen Abend auf der Hut sein, die Wachen verdoppeln — Eure Posten nicht mitgezählt, Vansen. Wenn sich diese Schattenwesen nicht rühren, dann werden wir in der Früh, wenn es hell wird, dort hinaufziehen und ihre Stärke prüfen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand von uns in diesem unbekannten Gelände gegen sie kämpfen will, wenn die Sonne gerade untergeht.«
    Das erntete Kopfnicken und ein paar zustimmende Grunzlaute, aber ansonsten sagte niemand etwas. Es gab keine Veranlassung.

    Chert war, wie ihm schien, hundertmal am Ufer des Quecksilbermeeres auf- und abgegangen und hatte gerufen und gerufen, bis ihm ganz schwindlig war, aber außer dem Echo war keine Antwort gekommen. Er hatte keinen Hinweis darauf entdeckt, wie man das flüssige Metall überqueren konnte, keine Brücke, keine Anlegestelle und — soweit er das bei dem ungleichmäßigen Flackerlicht erkennen konnte — auch kein Boot am jenseitigen Ufer. Eins aber hatte er herausgefunden: Irgendwo in dem blau und rosa schillernden Dunkel über ihm mußte es eine Art Spalte geben, die sich bis an die ferne Erdoberfläche zog, so etwas wie einen Felskamin, durch den die Dämpfe in die Luft über der Brennsbucht abziehen konnten. Chert wußte genug über Quecksilber, um sich darüber im klaren zu sein, daß er, wenn er es hier mit schieren, unbelüfteten Quecksilberdämpfen zu tun hätte, jetzt nicht nur benommen wäre, sondern tot oder jedenfalls so gut wie tot.
    Er fragte sich, ob das vielleicht des Rätsels Lösung war — konnte der Junge irgendwie von oben auf die Insel gelangt sein? Aber wie hätte Giebelgaup dann Flints Geruchsspur folgen können? Und wie hätte der Junge aus solcher Höhe herabkommen sollen? Die Felswand auf der anderen Seite des Quecksilbermeers war mindestens so weit von der Insel entfernt wie das Ufer, auf dem er stand. Einen Moment lang hatte er die Vision, daß der Junge wie ein Staubkorn oder eine Pilzspore durch die Luft schwebte. Aber das war albern. Flint mochte ja von jenseits der Schattengrenze kommen, und er mochte ein guter Kletterer sein, aber bislang hatte es keinerlei Anzeichen dafür gegeben, daß er fliegen konnte.
    Dennoch ging Chert wieder zu dem Steilhang unter dem Felsbalkon, über den er selbst gekommen war, starrte den zerklüfteten Fels hinauf, folgte mit den Augen dem Pfad, der nur ein Wildwechsel war — ein Geisterwildwechsel, wie er es jetzt wohl nennen mußte —, und fragte sich, ob es vielleicht noch einen anderen Weg gab, der irgendwo im Labyrinth selbst begann, irgendeinen Pfad, den ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten unsichtbar machte. Seufzend — wobei die heiße, stickige Luft den Seufzer in ein pfeifendes Atmen und dann in ein Husten verwandelte — kletterte er den Fels wieder hinauf.
     
    Auf dem Balkon des Labyrinths blieb er stehen, blickte in das unheimliche Glühen des Leuchtenden Mannes, das die ganze riesige Kaverne erfüllte, ohne sie wirklich zu erhellen, und nahm dann seinen Rest Laternenkoralle heraus, um sich auf den Rückweg durchs Labyrinth zu machen. Er war froh, daß er das Korallenstück wieder an sich genommen hatte und das Labyrinth nicht noch einmal im Dunkeln durchqueren mußte — das hatte zuviel Ähnlichkeit mit seiner Initiationszeremonie gehabt, mit diesem Gefühl der Hilflosigkeit, als er Schritt um Schritt hatte tun müssen, ohne einen seiner Altersgenossen anzufassen, immer der Stimme eines Tempelbruders hinterher, den er nicht sehen konnte, einer Stimme, der das Dunkel und der Hall etwas Fremdartiges, Unmenschliches verliehen. Aber diesmal würde er Licht haben ...
    Aber wie war Flint dann durchs Labyrinth gelangt?
Diese Frage hätte er sich schon längst stellen müssen, und wieder war Chert wütend auf sich. War Flint zuerst noch am Salzsee gewesen, um bei Block ein Stück Koralle zu kaufen? Irgendwie konnte Chert das nicht glauben — der kleine Funderling hätte doch bestimmt etwas gesagt. Aber wie sollte der Junge sonst den Weg durch das stockdunkle Labyrinth gefunden haben?
    So gesehen — wie hat er sich hier unten überhaupt zurechtgefunden?
Das war ein Mysterium, das es allemal mit den rätselhaftesten Teilen der Geschichte von Kernios und dessen berühmten Schlachten aufnehmen konnte.
    Chert blieb kurz stehen, um zu verschnaufen, fragte sich, was wohl für eine Tageszeit sein mochte, da selbst

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