Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
vor habgierigen Frauen schützen! Es schmerzte ihn, erheiterte ihn aber auch.
Sie scheint noch nicht bemerkt zu haben, daß es dem schönen Geschlecht bislang nicht schwerfällt, mir zu widerstehen ...
    Sie waren jetzt am Fuß des kleinen Hügels, auf dem Chavens Observatoriumsturm stand, der Fuß an die Innenseite der Neuen Mauer geschmiegt, die Turmkrone hoch über dem Rest der Festung, ausgenommen die vier Haupttürme und der alles überragende Wolfszahnturm. Auf der Treppe, die sich spiralförmig um den Hügel wand, eilten sie ihren schwergepanzerten Wachen davon.
    »He!« rief Barrick zu den keuchenden Soldaten hinab. »Ihr Schnecken! Wenn nun da oben Meuchler lauern?«
    »Sei nicht so grausam«, sagte Briony, mußte aber selbst ein Kichern unterdrücken.
     
    Chaven — er hatte vermutlich auch einen Nachnamen, irgend etwas voller ullosischer
As
und Os, aber die Zwillinge hatten ihn nie erfahren und auch nicht danach gefragt — kauerte in einem Lichtfleck unter dem mächtigen Observatoriumsdach, das zum Himmel hin geöffnet war, obwohl dunkle Wolken darüber standen und ein paar vereinzelte Regentropfen den Steinboden sprenkelten. Sein Gehilfe, ein großer, mürrischer junger Mann, stand wartend an einem komplizierten Mechanismus aus Seilen und Holzkurbeln. Der Arzt kniete vor einem großen, mit Samt ausgeschlagenen Holzkasten, der eine Reihe Speiseplatten unterschiedlicher Größe zu enthalten schien. Als er Schritte hörte, sah er auf.
    Er war klein und rundlich, mit großen, geschickten Händen. Die Zwillinge witzelten oft, wie planlos die Götter ihre Gaben verteilten, da der große, knochige Puzzle mit seiner grüblerischen Art einen viel besseren Hofastrologen und Leibarzt abgegeben hätte, während der fröhliche, quecksilbrige, behende Chaven perfekt zum Hofharren geeignet schien.
    Aber natürlich war Chaven auch sehr, sehr gescheit — wenn er wollte.
    »Ja?« sagte er ungeduldig und guckte kurz zu ihnen hinüber. Der Leibarzt lebte schon so lange in den Markenlanden, daß er kaum noch einen Akzent hatte. »Sucht mich jemand?«
    Die Zwillinge kannten das schon. »Wir sind's, Chaven«, verkündete Briony.
    Ein Lächeln erhellte sein Gesicht. »Ihr, königliche Hoheiten! Entschuldigt — ich war ganz von einer Sendung in Anspruch genommen, die ich eben erst erhalten habe — Instrumente, die es mir erlauben werden, einen Stern ebenso leicht zu beobachten wie ein Staubkorn ...« Er nahm vorsichtig eine der Platten heraus, die, wie sich jetzt erwies, aus massivem, wasserklarem Glas bestand. »Man mag über den dortigen Herrscher sagen, was man will, aber in ganz Eion vermag niemand solche Linsen zu fertigen wie die Glasschleifer von Hierosol.« Sein agiles Gesicht verdüsterte sich. »Verzeiht — wie gedankenlos von mir, wo doch Euer Vater dort gefangen sitzt.«
    Briony hockte sich neben den Kasten und näherte die Hand einer der runden Glasscheiben, die in einem schräg einfallenden Sonnenstrahl funkelte. »Wir haben auch etwas von diesem Schiff erhalten, einen Brief von unserem Vater, aber Kendrick hat ihn uns noch nicht lesen lassen ...«
    »Bitte, Hoheit!« sagte Chaven laut. »Nicht berühren! Schon die kleinste Trübung kann sie unbrauchbar machen ...«
    Briony zog die Hand so jäh zurück, daß sie an der Schließe des Holzkastens hängenblieb. Sie stöhnte leise und hielt den Zeigefinger hoch. Ein Tropfen Rot quoll hervor, rann in Richtung Handteller.
    »Oh, das tut mir schrecklich leid! Meine Schuld, weil ich Euch erschreckt habe.« Chaven kramte in den Taschen seines weiten Gewands, förderte eine Handvoll schwarzer Würfel zutage, dann eine geschwungene Glaspfeife, eine Portion Federn und schließlich ein Taschentuch, das aussah, als wäre es zum Polieren von Messing benutzt worden.
    Briony dankte ihm, steckte dann das schmutzige Tuch unauffällig ein und leckte das Blut einfach ab.
    »Dann habt Ihr also noch keine Neuigkeiten?« fragte der Arzt.
    »Der Gesandte wird Kendrick erst zur Mittagsstunde aufsuchen.« Barrick fühlte sich wieder schlecht gelaunt und unwohl. Der Anblick des Bluts an der Hand seiner Schwester hatte ihm zugesetzt. »Im Moment sind wir hier, um Euch etwas zu bestellen. Unsere Stiefmutter wünscht Euch zu sehen.«
    »Aha.« Chaven sah sich um, als fragte er sich, wo sein Taschentuch abgeblieben war, schloß dann den Kasten mit den Glaslinsen. »Ich werde selbstverständlich sofort zu ihr gehen. Kommt Ihr mit? Ich möchte alles über die Lindwurmjagd hören. Euer Bruder

Weitere Kostenlose Bücher