Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
breiten Marktstraße nur ein paar Dutzend Schritt weit sehen konnten; die leeren Gebäude zu beiden Seiten wirkten eher wie Schiffswracks auf dem Meeresgrund denn wie irgend etwas Intaktes. Von den Mauern und Dachtraufen tropfte es wie in den tiefsten Kalksteinhöhlen, ein stetes Platschen, so daß ihre Schritte von allen Seiten tausendfach widerzuhallen schienen.
    Alles war so düster und unnatürlich, daß es nur wie die logische Fortsetzung eines schrecklichen Traums wirkte, als plötzlich ein halbes Dutzend dunkler Gestalten vor ihnen aus dem Nebel traten. Chert schrie nicht einmal auf, fuhr nur zusammen und blieb mit jagendem Herzen stehen. Eine der schlanken Gestalten trat vor, einen langen schwarzen Speer auf Chert gerichtet. Die Rüstung des Mannes war bleigrau, und von seinem Gesicht war nicht mehr erkennbar als ein wenig knochenbleiche Haut und katzenhaft gelb glimmende Augen hinter dem Helmschlitz. Die Speerspitze schwenkte von Chert auf Gil und verharrte dort. Die Erscheinung sagte etwas, eine hart, aber musikalisch klingende Abfolge von Klick- und Zischlauten.
    Mit dumpfer Verwunderung hörte Chert seinen Gefährten in einer langsameren Version derselben unverständlichen Sprache antworten. Die graugepanzerte Gestalt entgegnete wiederum etwas, und der Dialog setzte sich fort. Wasser tropfte. Die Wachen formierten sich hinter ihrem Anführer, nichts als lange, schmale Schatten und ein Halbkreis von gelbglühenden Augen.
    »Wie es aussieht ... sollen wir getötet werden«, sagte Gil schließlich. Er klang ein wenig traurig — wehmütig vielleicht. »Ich habe ihnen gesagt, wir hätten ihrer Herrin etwas Wichtiges zu überbringen, aber das scheint sie nicht weiter zu kümmern. Sie seien die Sieger, sagen sie. Da gebe es nichts zu handeln.«
    Chert kämpfte gegen die Panik an, die ihm die Kehle zuschnürte und ihn zu ersticken drohte. »Was ... was soll das heißen? Ihr habt gesagt, sie wollen das, was wir haben! Warum wollen sie uns dann töten?«
    »Euch?« Jetzt lächelte Gil doch tatsächlich, ein kleines, trauriges Zucken der Mundwinkel. »Sie sagen, Ihr müßt sterben, weil Ihr ein Sonnenländler seid. Und ich bin anscheinend ein Deserteur und deshalb ebenfalls hinzurichten. Sie, die gesiegt hat — sie war einst meine Herrin.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Das wußte ich nicht. Mit der Zeit würde es mir vielleicht helfen, andere Dinge zu verstehen. Aber Zeit scheint das zu sein, was wir nicht haben.« Und tatsächlich schloß sich, während Gil noch sprach, der Halbkreis zu einem Ring um sie. Speerspitzen schwebten vor ihren Bäuchen, mehr als genug für sie beide. Ihnen blieb nur die Wahl, aufrecht zu sterben oder wegzurennen.
    »Lebt wohl, Chert von Blauquarz«, sagte sein Gefährte. »Es tut mir leid, daß Ihr hier sterben müßt statt in Euren unterirdischen Gängen, zu Eurer Zeit und an Eurem Ort.«

38

Stumm
    Im tiefen Grün:
Flüstert und seht, da,
Das Blinken von etwas Schnellfüßigem.
Es lebt! Es lebt!

Das Knochenorakel
    Qinnitan stand im Gang vor Luians Gemächern wie vom Bann eines Dämons ereilt, betäubt und kraftlos, und wartete, daß der Tod zu ihr käme.
    Nach einem Dutzend Herzschlägen legte sich der Schreck ein ganz klein wenig. Sie wollte nicht aufgeben, wurde ihr klar. Wenn nun das Dunkel so war wie der Schlaf, und dieses riesige, schreckliche ...
Etwas
auch dort auf sie wartete? Nur daß es im Tod kein Erwachen geben würde, keine Rettung vor diesem schwarzen, klaffenden Maul ...
    Sie schüttelte langsam den Kopf, schlug sich dann selbst ins Gesicht, um wieder irgend etwas zu fühlen. Wenn sie am Leben bleiben wollte, mußte sie aus dem Palast des Autarchen fliehen, ein Ding der Unmöglichkeit unter den Augen all seiner Wächter — und nicht nur der Wächter: bald würden auch sämtliche Dienerinnen nach ihr Ausschau halten und überhaupt alle im Frauenpalast, Ehefrauen und Gärtnerinnen und Frisiersklavinnen und Küchensklavinnen ...
    Plötzlich war da in ihrem Kopf der Schimmer einer Idee.
    Sie zwang sich, sich zu bewegen, sich zu Luians Tür zu schleppen und durch den Vorhang zu treten. Obwohl sie gewußt hatte, was sie dort drinnen erwartete, stöhnte sie doch entsetzt auf, als sie den Leichnam mitten auf dem Fußboden liegen sah, das blaurote Gesicht zum Glück von ihr abgewandt. Die Drosselschnur hatte sich so tief in Luians dick gepolsterten Nacken eingeschnitten, daß sie kaum sichtbar war. Dieser dicke Hals war für Luians Mörderin ein schweres Stück Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher