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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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und dabei, ohne es zu wissen, nicht nur zum Nutzen der Markenlande gesprochen, sondern auch zum Nutzen Hierosols?«
    Endlich schien Shaso lebendig zu werden. Er blinzelte wie ein erwachender alter Löwe und beugte sich vor. Eine Hand lag jetzt an seiner Seite, in der Nähe seines Dolchgriffs. »Haltet ein. Nennt Ihr mich einen Verräter, Graf?«
    Roricks Blick war hochmütig, aber aus seinen Wangen war alle Farbe gewichen. »Ihr habt uns nie erzählt, daß Ihr mit diesem Mann verwandt seid.«
    »Warum hätte ich sollen?« Shaso starrte ihn kurz an, sank dann wieder zurück, als hätte er seine gesamte Energie verausgabt. »Er war für keinen von Euch von Bedeutung, ehe er hier auftauchte. Ich wußte bis zu seiner Ankunft selbst nicht, daß er in Ludis' Dienste getreten war. Das letzte, was ich über ihn gehört hatte, war, daß er seine eigenen Scharen anführte, um in ganz Krace und dem Süden zu rauben und zu brandschatzen.«
    »Was wißt Ihr noch über ihn?« fragte Kendrick nicht sonderlich freundlich. »Er hat Euch mit diesem Wort genannt — ›Mordiya‹?«
    »Das heißt ›Onkel‹ oder manchmal auch ›Schwiegervater‹ Er hat mich verspottet.« Shaso schloß einen Moment die Augen. »Dawet ist der vierte Sohn des alten Königs von Tuan. Als er jung war, habe ich ihn und seine Brüder unterwiesen, so wie ich die Kinder dieser Familie unterwiesen habe. Er war in vielem der Beste von ihnen, aber in vielem auch der Schlimmste — flink, stark und schlau, aber mit dem Herzen eines Wüstenschakals, immer nur auf seinen Vorteil aus. Als ich in der Schlacht von Hierosol von Eurem Vater gefangengenommen wurde, dachte ich, ich würde weder ihn noch den Rest meiner Familie jemals wiedersehen.«
    »Und wie kommt es, daß dieser Dawet jetzt in Ludis Drakavas Diensten steht?«
    »Das weiß ich, wie gesagt, nicht, Ken ... Hoheit. Ich hatte gehört, daß Dawet aus Tuan verbannt worden war, wegen ... wegen eines Verbrechens, das er begangen hatte.« Shasos Gesicht war hart und ausdruckslos. »Seine schlechten Seiten hatten die Oberhand gewonnen, und schließlich schändete er ein junges Mädchen aus guter Familie, und selbst sein Vater wollte nicht länger die Hand über ihn halten. Nach seiner Verbannung fuhr er von Xand aus übers Meer nach Eion, trat dort in eine Söldnertruppe ein und stieg zu deren Anführer auf. Er kämpfte weder für seinen Vater noch für Tuan, als unser Land vom Autarchen erobert wurde. Ich ja im übrigen auch nicht, weil ich zu der Zeit bereits hierhergebracht worden war.«
    »Eine verschlungene Geschichte«, sagte Hierarch Sisel. »Verzeiht, aber da verlangt Ihr ziemlich viel Vertrauen in Euer Wort, Shaso. Wie kommt es, daß Ihr von seinem Tun erfuhrt, als Ihr bereits hier wart?«
    Shaso sah ihn stumm an.
    »Seht Ihr?« verkündete Rorick. »Er verbirgt etwas.«
    »Wir leben in schlimmen Zeiten«, sagte Kendrick, »daß wir so mißtrauisch sein müssen. Aber die Frage des Hierarchen ist nur recht und billig. Woher wißt Ihr, was aus ihm wurde, nachdem Ihr Tuan verlassen hattet?«
    Shasos Gesicht wurde noch lebloser. »Vor zehn Jahren erhielt ich einen Brief von meiner Frau — die Götter mögen ihr Ruhe schenken. Es war der letzte vor ihrem Tod.«
    »Und darin hat sie Euch ausgerechnet von einem Eurer vielen Schüler erzählt?«
    Der Waffenmeister legte die dunklen Hände flach auf die Knie und musterte sie so eingehend, als hätte er noch nie etwas so Ungewöhnliches wie Hände gesehen. »Das Mädchen, dem er Gewalt angetan hat, war meine jüngste Tochter. Danach ging sie in ihrem Gram in den Tempel und wurde eine Priesterin der Großen Mutter. Als sie zwei Jahre darauf krank wurde und starb, schrieb mir meine Frau, um es mir mitzuteilen. Meine Frau war überzeugt, daß Hanede an gebrochenem Herzen gestorben war — daß die Scham unsere Tochter dahingerafft hatte und nicht nur das Fieber. Und in diesem Zusammenhang schrieb sie mir auch einiges über Dawet, voller Verzweiflung darüber, daß ein solcher Mensch in Saus und Braus lebte, während unsere Tochter tot war.«
    Eine ganze Weile herrschte Stille in der kleinen Kapelle.
    »Ich ... es schmerzt mich, das zu hören, Shaso«, sagte Kendrick. »Um so mehr, als ich Euch gezwungen habe, wieder daran zu denken.«
    »Ich denke an nichts anderes, seit ich den Namen des Gesandten aus Hierosol gehört habe«, sagte der alte Mann. Barrick hatte Shaso schon öfter so gesehen — so tief in sich selbst zurückgezogen wie ein belagerter Burgherr in

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