Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
Generalstab der Bundeswehr. Die meisten aber, die mitmachen bei der Hetzerei, sind einfach Ahnungslose und Wichtigtuer. Gute Fahrt weiterhin.«
Sie erreichten Meine noch vor dem Mittagessen, konnten sofort ihre Zimmer belegen und aßen eine Kleinigkeit. Dann fuhren sie nach Grassel.
Das Haus, in dem Ulrike Wagner wohnte, lag an einer schmalen Straße, die Unter den Kastanien hieß, und es war das einzige Haus in dieser Straße. Der Asphalt endete am Grundstück und wurde dann zu einem Wiesenweg.
Es war ein kleines Haus, wie man es in den 1960ern und 70ern gebaut hatte. Im Erdgeschoss die Küche, das Wohnzimmer, wahrscheinlich ein Gästeklo, oben unter schrägen Wänden die Schlafzimmer. Es wirkte armselig und verwahrlost. Der Putz bröckelte, das Gemäuer zog Wasser, und der Lack an den Fenstern war schon vor Jahren abgeplatzt.
Es gab keine Klingel an der kleinen Gartentür, also gingen sie den kurzen Weg bis zum Haus und schellten.
Die Frau, die ihnen öffnete, wirkte auf den ersten Blick sehr vulgär. Ihr Gesicht war ein wenig verquollen, ihr breiter, stark geschminkter Mund wirkte so grotesk, als habe sie sich Botox spritzen lassen. Ihre Haare waren lang, tiefschwarz gefärbt und zu einem Pferdeschwanz gebunden, der dunkelrote Lack an ihren Fingernägeln war abgeblättert.
»Ja, bitte?«, fragte sie abweisend.
»Können wir Sie kurz sprechen?«, fragte Svenja.
»Worum geht es denn?« Sie schaute sie misstrauisch an.
»Um Ihre Tochter«, antwortete Svenja.
»Verdammt. Hat sie wieder Scheiße gebaut? Wahrscheinlich, oder? Ich will nichts von ihr hören. Nie wieder, verstehen Sie? Nie wieder!« Dann knallte sie ihnen die Tür vor der Nase zu.
»Das war wohl nichts«, sagte Müller.
Sie gingen durch den kleinen, verwüsteten Garten vor dem Haus zurück zu ihrem Wagen.
»Sie steht am Fenster und sieht unser wunderbares teures Auto«, sagte Svenja. »Sie wird neugierig sein.«
»Und sie ist einsam«, sagte Müller.
»Dann müssen wir eben anrufen. Wir machen es dringend, tischen ihr eine Lüge auf.«
»Und zwar?«, fragte Müller.
»Wir erzählen, ihre Tochter hat viel Geld verdient. Ich gehe jede Wette ein, dass sie auf Geld anspringt.«
»Das ist wahrscheinlich gar keine Lüge.«
»Eben.«
Sie fuhren zurück in das Hotel, berichteten Esser von ihrem Anfangspech und gingen dann spazieren, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Nach einer Stunde rief Svenja bei Ulrike Wagner an.
»Bitte, Frau Wagner, hören Sie mir einfach zu. Auch wenn die Erinnerung an Ihre Tochter offensichtlich schmerzvoll für Sie ist, sollten Sie mit uns sprechen. Ihre Tochter hat keinen Ladendiebstahl begangen oder dergleichen. Sie hat, aller Wahrscheinlichkeit nach, sehr, sehr viel Geld verdient. Dieses Geld ist uns gemeldet worden, weil sich Ihre Tochter nicht mehr darum kümmert. Und wir vermuten, dass das Geld irgendwo in Deutschland oder in Europa bei einer Bank oder einer Investmentfirma deponiert ist. Wir suchen nicht nach dem Geld, wir suchen aber Ihre Tochter …«
»Sie baut also doch schon wieder Scheiße!«, unterbrach Ulrike Wagner Svenja rüde.
»Das ist gar nicht sicher«, erklärte Svenja fest. »Es geht um mehr als eine Million Euro.«
Die Frau schwieg verblüfft. »Woher soll sie denn so viel Kohle haben? Ich meine, sie muss ja irgendetwas dafür getan haben.«
»Vielleicht können wir das herausfinden, wenn Sie mit uns sprechen. Wir haben keine Vorstellung davon, wie Ihre Tochter gelebt hat, als sie noch bei Ihnen im Haus war.«
»Das war auch gar nicht schön, das war das reine Chaos.«
»Wann könnten wir denn mal vorbeikommen?«, fragte Svenja.
»Am besten gleich, aber ich kann Ihnen nicht viel sagen, weil ich auch gar nichts weiß.« Zwei Sekunden Pause. »Ich habe nichts mehr im Haus. Könnten Sie mir eine Flasche Korn mitbringen? Fürst Bismarck, den gibt es beim ALDI . Und vielleicht einen Kasten Bier?«
»Das machen wir selbstverständlich.«
Sie kauften die Alkoholika und standen eine Stunde später wieder vor dem kleinen Haus. Sie hatten drei Flaschen Korn gekauft und zwei Kästen Bier. Svenja trug den Korn, Müller die Bierkästen.
Müller kommentierte: »Das könnte ein verdammt kurzes Interview werden, wenn sie Alkoholikerin ist. Egal. Wir tun das fürs Vaterland.«
Ulrike Wagner hatte sich hergerichtet, ein Kleid angezogen, das viel zu kurz und zu grell war. Dazu knallrote High Heels, die ihre Füße einzwängten. Bei den Haaren hatte sie ein riskantes Kunststück versucht und
Weitere Kostenlose Bücher