Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
seiner Konkurrenten.«
»Das ist gespenstisch«, murmelte Esser nach einer Weile. »Hat dabei auch Jongen Truud gewonnen?«
»Aber ja«, sagte Goldhändchen. »Er war der große Gewinner bei der Sache, er konnte die Lieferseite der Drogen übernehmen.«
»Okay«, warf Sowinski ein, »die Speedboot-Story bitte. Wann spielte die?«
»2009«, antwortete Goldhändchen, »in Venezuela, westlich der Hauptstadt Caracas in Porto la Cruz. Die Bevölkerung dort ist eine Mischung aus reichen Urlaubern und armen Fischern, soziologisch sehr problematisch. Was Speedboote sind, wisst ihr?«
»So ungefähr«, sagte Esser.
»Das ist was für die Söhne reicher Leute. Die Boote haben in der Regel zwei Motoren und fahren mit einer PS-Zahl von sieben- bis achthundert oder mehr. Mörderisch schnell. Sie machen Wettrennen, fahren aus einem Hafen hinaus in die offene See, drehen dann an einer Boje und rasen zurück. Das Ganze ist eine Erfindung der Amerikaner, die das in Florida als Sport reicher Familien entwickelten. Das Kokain kommt aus Mexiko, wird in Venezuela mit Handelsschiffen angeliefert und dann umgepackt auf die Speedboote. Die bringen es auf Schiffe, die nach Europa gehen. Zweihundert bis vierhundert Kilogramm pro Tour, was eine Wahnsinnsmenge ist, denn der Stoff ist bis zu achtundneunzig Prozent rein. Bei den Spezialisten der Polizei wird geschätzt, dass eine Speedboot-Tour im Straßenverkauf etwa eine bis zwei Millionen Dollar bringt. Diese Kette war im Besitz mexikanischer Bosse. Ein europäisches Konsortium wollte diese hochlukrative Schmuggellinie übernehmen und hätte normalerweise keine Chance gehabt, weil drei Mexikaner aus den reichen Familien das Sagen hatten. Innerhalb von zwei Monaten waren alle drei tot.«
»War da etwa auch Jongen Truud beteiligt?«
»Ja. Mit etwa dreißig Prozent, wie von Insidern geschätzt wird.«
»Wir haben also sieben Tote, wenn ich das richtig verstanden habe«, sagte Sowinski. »Der einzige Fall, der nicht eindeutig mit Drogen in Verbindung steht, ist Ole Bauer in Mogadischu. Wie kommt das?«
»Wissen wir nicht«, sagte Goldhändchen. »Armes Land, wenig Drogen. Aber Durchgangsland für Marihuana und Haschisch.«
»Aber Madeleine Wagner war dort, wie Atze erzählt hat«, sagte Esser. »Wir entscheiden jetzt. Gehen wir in den Fall Madeleine Wagner?«
»Ich bin dafür«, sagte Sowinski.
»Klare Sache«, sagte Goldhändchen. »Wir brauchen jetzt alle Hilfe, die wir kriegen können. Ich stelle mal eine Liste zusammen.«
»Was ist denn bei der Lkw-Suche rausgekommen?«, fragte Esser.
»Null Komma nichts«, erwiderte Goldhändchen. »Wir haben ja noch nicht einmal eine Angabe über die Nationalität des Fahrzeugs. Und der Zwischenfall an der österreichisch-deutschen Grenze ist immer noch nicht ganz klar. Falls es mit dem Sprengstofftransport zu tun hat, haben wir das C4 schon längst im Land.«
Goldhändchen hatte Ulrike Wagner, die Mutter von Madeleine, angerufen. Beim ersten Mal hatte er nur gewartet, bis sie sich meldete: »Wagner hier.« Dann hatte er eingehängt. Beim zweiten Mal hatte er gefragt: »Bin ich mit dem Anschluss Ulrike Wagner verbunden?« – »Ja«, hatte die Frau geantwortet. – »Entschuldigung«, hatte er gesagt. »Hier ist das Einwohnermeldeamt. Wie lange besteht Ihr Anschluss schon?« – »So lange wie ich hier wohne, dreißig Jahre mindestens«, hatte sie geantwortet. – »Dann bitte ich um Verzeihung, dann ist das eine falsche Verbindung. Wir suchen nach einem anderen Teilnehmer. Haben Sie die Nummer zwei-drei-null-vier?« – »Nein, nein«, hatte die Frau geantwortet. »Ich habe zwei-drei-eins-vier.«
Das reichte, um sich in den Anschluss einzuklinken. Ulrike Wagner würde bis auf Weiteres mit niemandem mehr telefonieren können, ohne einen von Goldhändchens neugierigen Leuten als Mithörer zu haben.
Esser hatte entschieden, Müller und Svenja gemeinsam zu der Mutter zu schicken. Sie rechneten damit, dass außer ihr noch andere Zeugen gehört werden mussten. Also war es besser, zwei Leute vor Ort zu haben.
Sie waren auf dem Weg in einen kleinen Ort namens Grassel, etwa auf halbem Weg von Braunschweig nach Wolfsburg. Ihr Quartier wollten sie in Meine aufschlagen, acht Kilometer von Grassel entfernt. Sie reisten als Sicherheitsexperten. Svenja unter dem Namen Shannon Ota, Müller unter dem Namen Dr. Kai Dieckmann, beide mit gültigen Papieren. Svenja saß am Steuer.
»Wie war es denn gestern Abend eigentlich mit Anna-Maria?«, fragte Müller.
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