Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
kommt denn Ihre Tochter nicht mehr? Und ich wusste von nichts.«
»Sie verließ also das Haus, als ginge sie arbeiten, aber dort erschien sie nicht. Ist das richtig so?«, fragte Müller weiter.
Sie antwortete nicht, sie nickte nur.
»Und sie hatte vermutlich Kerle«, stellte Svenja fest.
»Ja. Mit dreizehn fing das schon an. Einen nach dem anderen.« Sie goss sich wieder einen Schnaps ein und trank ihn sofort. Danach einen langen Zug aus der Bierflasche. Die Flasche war leer.
»Wie lebten Sie damals?«, fragte Müller.
»Rocky war hier bei mir. Nein, warte mal, Albert, Moment, dann Frank, dann wieder Rocky. Also hier lief alles normal, sage ich mal. Sie hatte hier ihr Zuhause, sie hatte eigentlich alles, was sie braucht. Ihre Freunde und ein anständiges Taschengeld. Und sie konnte machen, was sie wollte. Wir haben ihr nie was vorgeschrieben. Aber sie war so – sie war eben zickig, sie konnte mit keinem, sie machte uns das Leben schwer. Sie lag oben im Bett und sagte nichts und tat nichts. Qualmte ihr Haschzeug. Und ich bin hier unten verrückt geworden.«
»Können Sie uns den Namen des Jungen sagen, mit dem sie meistens zusammen war?«, fragte Svenja.
»Das war der Matthias, der vom Probst. Mit dem war sie immer mal wieder zusammen, über die ganzen Jahre. Mal oben, mal unten, wie Jugendliche so sind. Aber dann hat er eine andere geheiratet, weil sie ein Kind von ihm kriegte, und Madeleine ist ausgeflippt. Damals habe ich gedacht, sie tut sich was an.«
»Wie alt war sie, als Matthias heiratete?«, fragte Svenja.
»Da war er achtzehn, und Madeleine war siebzehn.«
»Ist der noch hier in der Gegend?«, fragte Müller.
»Ja, ja, der arbeitet in der Fleischerei von Mundt in Meine. Ist natürlich längst geschieden.« Sie fuhr sich mit einem Papiertaschentuch über das Gesicht und verschmierte den Lippenstift.
»Ja, ich hatte mit meiner Tochter viele Sorgen, und die wurden immer größer, sage ich Ihnen.«
»Können Sie uns noch mehr darüber erzählen?«, fragte Müller freundlich.
»Da war die Sache mit Grooms«, sagte sie und räusperte sich ein paarmal, weil sie das alles offensichtlich sehr mitnahm. »Grooms ist hier ein großes Tier, Rechtsanwalt und Notar. Drei oder vier Kinder, ich weiß nicht genau. Damals hatte er erst ein Kind. Er war verheiratet mit einer Frau aus Braunschweig, Lisbeth hieß die, eine dünne Blonde. Und eines Abends kommt meine Madeleine im vornehmen Auto vom Grooms hier vorgefahren. Am nächsten Tag das gleiche Spiel, am dritten Tag auch. Grooms kam an, setzte sie hier ab und fuhr dann wieder. Ich fragte Madeleine, was das soll, und sie antwortete, das ginge mich nichts an, das wäre ihre Sache. Ich glaube, sie war da sechzehn. Ist ja auch egal. Dann ging das Gerücht, der Grooms hätte was mit einer Minderjährigen. Das hört man so und denkt nicht weiter darüber nach. Aber ich ahnte natürlich was. Wochenlang nur Grooms und meine Madeleine. Ich kriegte Krach mit ihr. Ich sagte ihr, das kannst du doch nicht machen, du kannst dich doch nicht mit einem verheirateten Mann rumtreiben. Er bezahlt mich schließlich dafür!, schrie sie mich an. Jeden Tag einen Hunderter! Ich habe gedacht, ich müsste mich in Grund und Boden schämen. Ich weiß nicht, wie lange das ging. Das Gerede war furchtbar, und bei uns im Lädchen haben mich dann Frauen aus der Nachbarschaft gefragt, was ich für eine Tochter hätte. Die Leute tuscheln heute noch über mich, das ist wie Mobbing. Sie haben das Haus hier manchmal einen Puff genannt. Als Sie jetzt kamen und sagten, Madeleine hätte viel Geld verdient, habe ich im ersten Augenblick gedacht, sie hat einen Puff aufgemacht.«
»Sie muss etwas anderes gemacht haben«, sagte Svenja. »Einen Puff bestimmt nicht.«
»Hat denn dieser Grooms mit ihr Schluss gemacht?«, fragte Müller. Es fiel ihm schwer, sachlich zu bleiben, er musste dauernd an seine eigene Tochter denken.
»Ja klar. Irgendwann kam das Ende. Sie warf mir vor, ich hätte ihr geschadet. Jedenfalls sah man sie nicht mehr mit Grooms. Und eines Tages komme ich nach Hause und höre, wie sie telefoniert und sagt: Also, du zahlst, und ich halte den Mund, fünfhundert Eier im Monat. Ich habe ihr das Telefon aus der Hand gerissen. Ich glaube, ich hätte sie am liebsten umgebracht.« Sie goss sich wieder einen Schnaps ein und trank ihn sofort.
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir erst einmal Schluss machen«, sagte Svenja behutsam. »Wir sind in Meine im Hotel. Wir würden gern morgen früh
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