Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
eine große Metallplatte in die linke Wand eingelassen, etwa hundertzwanzig Zentimeter im Quadrat. Die Platte war leicht angerostet, mit einem Drehverschluss in der Mitte, sie war so etwas wie eine kleine Tür.
»Was soll diese Luke da?«, fragte Müller.
»Dahinter ist nur ein Sicherungskasten«, sagte der Alte. »Du kannst nachsehen, wenn du willst. Ich belüge dich nicht.«
Es riecht hier nach Kaffee, registrierte Müller, nach Mokka. Dann entdeckte er das kleine Regal mit den beiden Heizplatten darauf. Er sah auch den einfachen Topf, und er strich an dem Alten vorbei und fasste schnell auf die Platten. Sie waren noch warm, der Topf auch.
»Du hast dir einen Kaffee gebraut«, stellte er sachlich fest. »Du hast einen großen Gönner, der dir das alles zurückgelassen hat, nicht wahr? Licht, Wein und Kaffee, das ist eine Menge.«
»Darauf kannst du wetten«, sagte der Alte grinsend. Von dem Penner war nicht mehr viel übrig geblieben. Die Augen des Mannes waren vollkommen klar, wirkten plötzlich listig.
»Und hinter der Metallplatte, da ist nur ein Sicherungskasten, sagst du?« Müller steckte seine Waffe in die Hosentasche und ging mit schnellen Schritten auf die Platte zu. Als er daran zog, glitt sie geräuschlos auf. Dahinter befand sich wirklich ein großer Sicherungskasten, ein deutsches Fabrikat. Dann sah Müller die beiden Scharniere, und er musste lächeln. Das war eindeutig gut gemacht, einfach und bestechend.
»Und dann drückst du den Sicherungskasten nach hinten weg und kannst in die Unterwelt steigen«, sagte er.
»Du hast ein helles Köpfchen, Junge.« Der Alte grinste.
Er hatte jetzt eine Waffe in der Hand, eine dunkel mattierte Neun-Millimeter-Glock mit einem aufgesetzten Laservisier, genau die Waffe, mit der Müller endlose Serien auf dem Schießstand in Berlin geschossen hatte. »Geh an mir vorbei, schau mich dabei an.«
»Das verrät den Profi«, murmelte Müller und folgte der Anweisung des Alten.
Dann kam wie ein Überfall die andere Stimme von hinten. Müller nahm an, der Mann stand im Gang hinter ihnen, war irgendwie aus einer Deckung aufgetaucht. Diese Stimme war tiefer, und Müller kannte sie.
»Greifen Sie nicht nach Ihrer Waffe, lassen Sie uns unter befreundeten Spionen sachlich bleiben«, sagte die Stimme in einem erstaunlich guten Englisch. »Ich bin Quelle Sechs, und man sagt von mir, ich sei sehr gründlich. Und als dieser Scheißwüstenzwerg Gaddafi wie ein Kleinkind jammerte und alle seine Untertanen Ratten nannte, da dachte ich: Ich brauche nur an einem sicheren Ort zu warten, bis mein Freund, der Zauberer Doktor Kai Dieckmann aus Berlin, auftaucht.«
»Und was soll der Zauberer aus Berlin tun?«, fragte Müller.
Quelle Sechs lachte auf. »Sie dürfen sich vorsichtig zu mir herumdrehen, aber wirklich vorsichtig, sonst schießt mein alter Freund Sie tot. So was beherrscht der nämlich wirklich gut.«
Müller drehte sich langsam nach links und fragte direkt in das Gesicht von Quelle Sechs: »Und wie soll das hier weitergehen?«
Quelle Sechs war ein langer, hagerer Mann mit einem sorgfältig geschnittenen Schnauzbart. Er erinnerte ein wenig an die alten englischen Offiziere aus den Stäben des Zweiten Weltkrieges. Er stand stocksteif da und lächelte Müller ins Gesicht. »Wissen Sie, mein Lieber, ich kenne Sie als einen höflichen, zugewandten Menschen. Ich denke, ich erspare mir dümmliche Verkleidungen, lange Fußmärsche, stinkende Verstecke und entwürdigende Transporte in dreckigen, alten Autos. Ich verlasse mich auf die weltberühmte deutsche Gründlichkeit und damit auf meinen Dieckmann. Und der wird mich todsicher ausfliegen aus dieser wunderbaren Stadt.«
»Das glauben Sie doch selbst nicht«, widersprach Müller vollkommen ruhig und gelassen.
»Doch, doch«, betonte Quelle Sechs. »Und falls Sie tricksen, sind Sie tot, mein Freund.«
Dann kam der Schlag in die Halsbeuge und die tiefe, brüllende Schwärze. Und dann nichts mehr.
VIERTES KAPITEL
Svenja saß im Schneidersitz auf ihrem Bett, vor sich den Laptop, und schrieb mit hoher Geschwindigkeit. Sie schaute dabei weder auf die Tastatur noch auf den Bildschirm, sondern starrte aus dem Fenster und versuchte, sich möglichst präzise zu erinnern und niemals zu übertreiben. Übertreibungen bei der Auswertung mochten ihre Chefs nicht.
Unter der Rubrik »Besondere Vorkommnisse« notierte sie: »Es war am dritten Tag gegen Abend, und ich befand mich in einem der alten Häuser in der Innenstadt von Damaskus
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