Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
hierhin.« Sowinskis Zeigefinger tippte auf eine andere Stelle. »Das sind die Häuser der hohen Militärs. Wir hatten über die Jahre einen General, den wir Quelle Sechs nennen und der uns gute Informationen über die Politiker und die Querelen bei den Muslimen beschafft hat. Das Haus ist gestürmt und verwüstet und von den Rebellen ausgeräumt. Wir vermuten, er ist in diesem Haus oder in der unmittelbaren Nähe. Präg dir diese Karte genau ein. Mehr wissen wir nicht. Diese Quelle Sechs rief dann hier an, sagte, dass er Müller hat. Er will von uns von Tripolis nach Beirut ausgeflogen werden und uns dort dann Müller übergeben. Du wirst also nach deiner Ankunft Müllers komplettes Tagesprogramm nachvollziehen müssen, gleichzeitig checkst du seine Zeit im Hotel. Welche Anrufe, welche möglichen Kontakte. Das geht bis hin zu den Taxifahrern, die vor dem Hotel stehen. Du nimmst also ein Foto von ihm mit, auf der Rückseite steht, unter welchem Namen er reiste, welche Papiere er hatte. Du bekommst auch genügend US -Dollar mit, um notfalls Informationen kaufen zu können. Und Goldhändchen wird ein Netz über dich legen, er wird permanent verfolgen können, wo du bist und was du tust. Das alles muss mit hoher Geschwindigkeit ablaufen, denn Quelle Sechs meint es bitterernst. Es geht um sein Leben. Wenn man ihn im Land stellt und fängt, ist er so gut wie tot. Wir können davon ausgehen, dass er Müller erschießt, sollte es ihm plötzlich in den Kram passen. Und denk daran, dass es hart werden kann. Also nimm die Waffe mit, die dir am besten in der Hand liegt.«
»Aber wäre es denn nicht wesentlich einfacher, einen Flieger zu schicken, die beiden ausfliegen zu lassen und Müller in Beirut aufzunehmen?«
»Ja, das wäre es wohl. Wenn man sich darauf einlässt. Wir mögen es aber nicht, erpresst zu werden, und wenn so etwas passiert, werden wir sehr, sehr wütend.«
»Was macht denn Svenja? Ist sie in Berlin?«
»Ja«, antwortete Sowinski. »Aber was sie tut, können wir nur begrenzt kontrollieren.« Dann schlug er wütend auf die Tischplatte. »Wir haben immer gewusst, dass es richtig kompliziert werden kann, wenn Liebe im Spiel ist. Na ja, warten wir mal ab.«
»Und was mache ich, wenn sie auftaucht?« Dehner dachte flüchtig: Um Himmels willen, bloß nicht Svenja als Gegner!
»Dann machst du gar nichts, sondern benimmst dich genauso, wie du dich benehmen würdest, wenn du sie im Café Einstein triffst. Aber sag uns sofort Bescheid. Du hast einen neuen Satz Papiere. Name: Fausto Caresi, Italiener mit deutscher Mutter, angestellt bei Mercedes-Benz, Niederlassung Berlin. Und lies deine Legende gründlich, Junge, damit du weißt, was du alles so bist und kannst und woher du kommst. Du bist in Tripolis, um eine mögliche neue Niederlassung zu planen. Italienisch kannst du ja, Arabisch auch, Englisch sowieso, das müsste reichen. Und jetzt gehst du weiter zu Esser. Der hat eine sehr spezielle Aufgabe für dich. Wie fühlst du dich?«
»Ehrlich gesagt ziemlich mau. Ich weiß nicht, ob ich Müller helfen kann, vielleicht ist das alles eine Nummer zu groß für mich.«
»Mit Sicherheit nicht«, stellte Sowinski fest. »Du bist viel fähiger, als du denkst. Und jetzt ab zu Esser. Ticket, Geld, Papiere, Unterlagen im Sekretariat. Solltest du unbedingt den Chef sprechen wollen, dann melde dich bei mir, ich verbinde dich dann.«
»Wieso denn das? Sind Sie neuerdings sein Filter?«
Sowinski lächelte, mit dieser leichten und schnellen Empörung bei Dehner hatte er gerechnet. Dehner war der intellektuelle Typ, der soziale Schieflagen gleich welcher Art sofort begriff und anmahnte. »Natürlich nicht, er arbeitet nur ein paar Tage von zu Hause aus.«
»Krank?«, fragte Dehner.
»Nicht die Spur«, antwortete Sowinski.
»Dann beten Sie mal für mich«, sagte Dehner und ging hinaus.
»So viel du willst, mein Junge«, sagte Sowinski in seine Richtung.
Dehner ging über den Flur und dachte: Das wird meine endgültige Himmelfahrt!
Esser saß in seinem Bürosessel und hörte die Brandenburgischen Konzerte. Es war, abgesehen von der Musik, vollkommen still, und er hielt die Augen geschlossen. Er trug wieder eine dieser furchtbaren Strickjacken, grün diesmal.
»Ich bin einunddreißig, ich soll die Welt retten, und es ist jetzt zwei Uhr dreißig nachts«, murmelte Dehner.
»Dann retten wir sie doch«, sagte Esser mit geschlossenen Augen. »Setzen Sie sich, ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen.«
Dehner setzte
Weitere Kostenlose Bücher