Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
fühlte sich nicht ordentlich durchtrainiert und musste dazu unbedingt das dumpfe, drückende Gefühl der Schuld loswerden.
Atze war noch nicht da. Es war kurz vor zehn Uhr, das Restaurant war gähnend leer. Dehner bestellte drei Spiegeleier auf Lachs, dazu eine ganze Kanne Kaffee. Er wusste, dass seine Fitnesstrainer ihn dafür streng getadelt hätten.
Er war gerade dabei, das zweite Spiegelei in Angriff zu nehmen, als Atze hereinkam und sich zielstrebig auf den kleinen Tisch zubewegte.
»Arthur Schlauf«, stellte er sich förmlich vor. »Freut mich. Darf ich mich setzen?«
»Aber ja, bitte«, sagte Dehner. »Entschuldigung, aber ich habe seit gestern nichts mehr gegessen.«
»Dann lassen Sie sich bitte nicht stören. Wie darf ich Sie nennen?« Er hatte eine merkwürdig hohe Stimme.
»Sagen Sie einfach Thomas«, antwortete Dehner. »Ich soll Ihnen ausrichten, dass wir sehr dankbar sind für alle Hinweise, die Sie uns gegeben haben. Wir freuen uns immer, Leute zu treffen, die sich sorgen, wenn dem Land Schaden droht. Wir könnten ohne diese Hinweise nicht arbeiten.«
Atze freute sich aufrichtig. Er lächelte und sagte: »Aber das ist doch selbstverständlich, ich bitte Sie.«
Er sieht tatsächlich aus wie ein Sparkassenangestellter, dachte Dehner. Niemand würde hinter dieser biederen Fassade einen derartig schnellen Denker und guten Kaufmann vermuten. Erst recht keinen Kaufmann, der sich auf der ganzen Welt herumtreibt.
Der Mann trug einen Anzug in einem mittleren Braunton, dazu ein weißes Hemd und einen hellen Schlips. Sein schütteres Haar war ebenfalls braun.
»Wie geht es Ihrem Vater?«, fragte Dehner ohne Vorwarnung.
Atzes Lippen wurden zu einem dünnen Strich. »Persönliche Dinge gehen Sie nichts an. Die tun hier nichts zur Sache. Wenn ich zufällig etwas finde, rufe ich euch an, sonst nicht.« Er sah Dehner offen ins Gesicht, und er war sauer. Seine Augen passten nicht zu all dem biederen Mittelbraun. Sie waren grau wie altes Eis.
»Wir haben Gründe zu fragen«, stellte Dehner fest. »Es muss Verräter geben!«
»Was hat das mit meinem Vater zu tun?«
»Glauben Sie mir, wir machen uns Sorgen. Bei uns ist ein Mann aufgetaucht, der Ihren Namen kennt und sogar Ihr Kürzel in unseren Abrechnungen. Normalerweise würde ich so etwas als Zauberei bezeichnen. Aber es war keine Zauberei, es war Verrat. Also meine Frage: Mit wem haben Sie über die Verbindung zwischen dem Dienst und Ihnen gesprochen?«
»Mit niemandem«, antwortete Atze schroff. »Essen Sie ruhig weiter.«
»Ich habe keinen Hunger mehr«, sagte Dehner. Er goss sich noch eine Tasse Kaffee ein.
»Wieso gerade mein Vater? Wieso fragen Sie nach ihm?«, wiederholte Atze hartnäckig.
»Es gibt da diese uralte Geschichte mit Ihrer Familie. Die könnte plötzlich wieder eine Rolle spielen. Irgendwer hat sie ausgegraben, anders können wir uns das nicht erklären.«
»Ich möchte das Gespräch jetzt gerne abbrechen«, sagte Atze leise.
»Das hilft doch niemandem. Wir müssen darüber nachdenken, wer plötzlich ein Interesse daran hat.«
Atze nahm einen Zahnstocher aus einem Gläschen und fuhrwerkte damit in seinem Mund herum. »Sie müssen das herausfinden, nicht ich. Es ist Ihr Problem, nicht meines. Wenn in euren Abrechnungen jemand mein Kürzel erkennt, dann muss er wissen, wie das Kürzel lautet, oder? Ich kenne mein Kürzel bei euch nicht. Und noch einmal: Was hat mein Vater mit der Geschichte zu tun? Haben Sie den etwa besucht, ihn ausgefragt?«
»Nein, das würden wir niemals tun«, antwortete Dehner. »Aber irgendjemand kennt die Geschichte, und wir fragen uns, woher.«
»Fragen Sie das diesen Unbekannten, finden Sie heraus, wer das ist«, sagte Atze.
»Kann es sein, dass jemand aus Ihrer Umgebung von den Barauszahlungen weiß, die wir Ihnen zugeleitet haben?«, fragte Dehner.
Atze starrte ihn misstrauisch an. »Völlig unmöglich. Niemand kennt meine Finanzen. Ich lasse persönlich so gut wie nichts über lange Bankwege laufen. Ich kenne jemanden, der eine Bank besitzt, das ist viel besser. Der Mann verdient gutes Geld mit mir.« Er verzog den Mund zu einem leichten Grinsen, doch das dauerte nur Sekunden. Dann fragte er erneut: »Was hat das mit meinem Vater zu tun?«
»Das wissen wir nicht«, erklärte Dehner. »Es ist im Dienst der Verdacht aufgekommen, dass jemand mit Ihrem Vater gesprochen hat, um die alte Geschichte auszugraben, die Ihrer Familie so viel Kummer bereitet hat.«
»Wem sollte das nützen?«, fragte Atze
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