Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
Herr mit einem Riesenauto, sehr ruhig, sehr gelassen, sehr souverän. Er war mit meiner Mutter ein paar Tage an der Müritz. Irgendwie mochten sie sich, glaube ich. Vielleicht ist es sogar Liebe, wer weiß.«
»Wir erneuern erst einmal deinen Verband«, bestimmte Svenja. »Dann fährst du zu deiner Mutter, und dann sehen wir weiter.«
Sie schnitt den Verband von seinem Bein. Die Wunde war zwar ziemlich groß, heilte aber gut und würde eine lange Narbe ausbilden. Sie rieb die vernähte Linie sanft mit einer antibiotischen Salbe ein, legte Mull auf und wickelte schließlich eine elastische Binde um den Oberschenkel.
»Mein Held!«, sagte Svenja lächelnd. Dann fragte sie unvermittelt: »Hättest du das auch für mich getan?«
»Aber ja«, sagte er. »Ich wäre dir bis ans Ende der Welt gefolgt.«
Er bewegte sich auf Krücken durch die Wohnung, damit sein Kreislauf sich stabilisierte. Vom Schlafzimmer durch den Flur in das Wohnzimmer und zurück.
»Was haben wir eigentlich falsch gemacht?«, fragte sie unvermittelt.
»Gar nichts, finde ich. Wir sind maßlos, wenn es um Liebe geht. Die Chinesen sagen, Glück sei ein Augenblick. Das reicht uns nicht. Wir werden hinausgeschickt, wir erledigen einen Auftrag und kommen desolat und erschöpft zurück. Wir müssten uns eigentlich ausruhen, aber wir wollen nicht ausruhen, wir wollen in jeder Sekunde die Liebe spüren. Manchmal geht das, manchmal reicht das, aber meistens kommt doch der eine zurück, wenn der andere gerade geht. Und dann reicht es nicht mehr. Wir sind verstört. So denke ich.«
»Klingt sehr klug, aber ist es auch klug?«
»Das weiß ich nicht.« Er lächelte. »Wenn wir gerade frisch aus einem Einsatz kommen, den wir zusammen erledigt haben, dann ist das gut. Kommen wir getrennt zurück, fühle ich mich irgendwie haltlos und kann nicht verstehen, weshalb du so weit von mir entfernt lebst. Das hört sich wahrscheinlich sehr kindlich an.«
»Wir sollten bescheidener sein«, sagte sie.
»Ja, das sollten wir wohl.«
Irgendwann schellte Toni an der Tür, und Müller humpelte mühsam die Treppen hinunter.
Svenja blieb zurück und wartete auf den Anruf. Dass der Anruf kommen würde, war ohne jeden Zweifel klar. Die Frage war nur, wann.
Als das Telefon schließlich klingelte, zuckte sie trotzdem zusammen. In der Leitung war eine Frau.
»Können Sie in einer halben Stunde im Dienst sein? In der Rechtsabteilung? Bei Herrn Doktor Hohlweide?«
»Selbstverständlich«, antwortete Svenja.
Sie nahm ein Taxi und fragte sich, was aus ihr werden würde.
Kurz darauf saß sie in einem kleinen Sessel auf einem sehr langen, gedämpft beleuchteten Gang, in dem absolute Ruhe herrschte, so, als könne man die Welt draußen ein für alle Mal vergessen.
Schließlich öffnete sich eine Tür, und eine junge, hellblonde Frau verkündete: »Herr Doktor Hohlweide hat jetzt Zeit für Sie. Gehen Sie einfach hinein.«
Svenja ging hinein und stellte sich vor: »Svenja Takamoto.«
Der Mann war etwa Mitte vierzig, an den Schläfen leicht ergraut, mit einem hageren Gesicht. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch, nannte ebenfalls seinen Namen, forderte sie auf, Platz zu nehmen. »Wir haben es mit einer komplizierten Sachlage zu tun.«
Svenja schaute ihn schweigend an.
»Ich habe hier eine Reihe von Fragen, die Sie mir beantworten sollten. Ich hoffe, Sie sind einverstanden.«
»Das kommt auf die Fragen an«, sagte sie.
Für sie war der Mann hinter dem Schreibtisch nicht mehr als ein grauer Maßanzug. Und dieser Anzug lächelte nicht einmal.
»Ja, es kommt auf die Fragen an. Ich stelle fest, Sie sind freiwillig hier und wollen meine Fragen freiwillig beantworten«, begann er.
»Du lieber Gott«, seufzte sie. »Können Sie es nicht ein bisschen freundlicher durchziehen?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab«, stellte er mit einem Gesicht wie ein Nussknacker fest. Dann richtete er sich sehr gerade in seinem Stuhl auf.
»Namen, Daten und Uhrzeiten spielen bei dieser ersten Anhörung keine Rolle, sie ergeben sich aus dem Geschehen. Meine erste Frage ist, ob Sie ohne dienstlichen Auftrag und ohne Ihre Vorgesetzten zu verständigen eine Reise mit einem Flugzeug nach Libyen unternommen haben.«
»Das ist richtig«, antwortete sie.
»Und Sie wollten dort, nach unseren Unterlagen zu urteilen, einen anderen Agenten dieses Hauses treffen, der zu dem fraglichen Zeitpunkt mit unseren technischen Mitteln nicht mehr zu erreichen war und sich in der Gewalt einer bestimmten politischen
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