Die große Flut
leise: »Mein Liebster, jeder trifft seine eigene Wahl, und nicht alle wählen denselben Weg.«
»Warum darf nicht ich holen, was ihr braucht?«
»Weil es ein Frauenhaus ist. Männer wie du haben dort keinen Zutritt.«
»Ich sah aber auch Männer aus dem Haus kommen. Und Nephilim.«
»Ach, Japheth, glaube mir doch. Uns widerfährt nichts. Anah ist stark.«
»Und Mahlah?«
O-holi-bamah umarmte ihren Mann, preßte ihre Wange an die seine, blieb ihm die Antwort schuldig.
Mahlah begleitete Yalith und O-holi-bamah immer seltener, sie tauchte auch immer seltener im heimatlichen Zelt auf. Wenn sie kam, kam sie spät, wenn längst alle schliefen, und wich jeder Konfrontation mit Matred aus.
Matred ließ es geschehen. Sie wartete darauf, daß sich ihre Tochter und Ugiel, dem Brauch gemäß, ihr und Noah offenbarten. Aber Ugiel kam nicht, und Mahlah sagte nichts, und Matred verheimlichte ihrem Gemahl, daß Mahlah einem Nephil versprochen war. Ehe das Verlöbnis offiziell verkündet und von Mahlahs Familie gutgeheißen worden war, konnte von einer Heirat ohnedies keine Rede sein.
Ehen wurden meist ohne großes Zeremoniell geschlossen. Die Eltern des Paares trafen ein Übereinkommen, und daraufhin brachten die Brauteltern ihre Tochter ins Zelt des Bräutigams. Mehr wollte Matred gar nicht, aber alles sollte seine Ordnung haben. Auch Seerah und Hoglah, die älteren Schwestern von Yalith und Mahlah, waren auf diese Weise ihren Männern zugeführt worden, und Matred hatte ein Festmahl bereitet, und Noah hatte vom besten Wein ausgeschenkt.
Elisheba, Sems Gemahlin, war heimlich und in Begleitung ihres verwitweten Vaters zu Noahs Anwesen und Sems Zelt gekommen und hatte einige goldene Ringe mitgebracht. Und Teraphim, die Statuetten ihrer Hausgottheiten.
Anahs Hochzeit hingegen, sagte Matred, sei ein vulgäres Fest gewesen, mit vielen Gästen, von denen die meisten ohne Einladung gekommen waren. Es seien sogar Musikanten und Tänzer dagewesen. Und der Wein sei in Strömen geflossen. Zu viel Wein, und schlechter obendrein, denn wer hätte sich schon mit Noahs Wein messen können? Tagelang habe das Fest gedauert. Solche Übertreibungen seien nicht nur entbehrlich, sie seien unschicklich obendrein.
Das alles sagte Matred, während sie mit Yaliths Hilfe das große Zelt säuberte. Und sie sagte: »Ich verstehe Mahlah nicht.«
Yalith schüttelte die Felle der Lagerstätten aus. »Ich noch weniger. Warum spricht sie nicht mit dir und Vater? Warum weicht sie euch aus?«
Matred klopfte heftig den Staub aus den Fellen, mit denen der Boden des Zeltes bedeckt war. »Wenn dein Vater wüßte, was sie treibt, würde er furchtbar wütend werden. Etwas geht ihm in letzter Zeit durch den Kopf. Etwas, über das er nicht einmal mit mir spricht. Sonst hätte er längst bemerkt, wie seltsam sich Mahlah aufführt. Glaubst du, daß Ugh...«
»Ugiel.«
»… daß dieser Nephil sie heiraten wird?«
»Ich weiß es nicht.« Yalith schrubbte eine Öllampe mit Sand. »Mahlah rechnet jedenfalls damit.«
»Sprich mit ihr!« bat Matred. »Bringe sie zur Vernunft. Sie muß ja nichts weiter tun, als mit ihrem Nephil zu uns zu kommen und das Verlöbnis zu verkünden. Dann bereiten wir alles für das Hochzeitsfest vor.«
»Ich will es versuchen«, versprach Yalith. »Aber ich fürchte, sie wird nicht auf mich hören.«
Anderntags ging sie mit O-holi-bamah und Anah frische Salben für Dennys holen. Vielleicht würde sie Mahlah bei der rothaarigen Tiglah antreffen und konnte mit ihr sprechen.
»Tiglah macht mir angst«, flüsterte Yalith O-holi-bamah zu. »Ich weiß, daß sie Anahs Schwester ist, wahrscheinlich noch dazu die schönste Frau in der Oase, und doch…«
»Ihre Schönheit ist käuflich«, bemerkte O-holi-bamah trocken. »Deshalb brauchst du dich aber nicht vor Tiglah zu fürchten.«
Sie betraten eine der engen Gassen zwischen den aus Steinen errichteten Häusern. »Ich gehe nicht gern hierher«, sagte Yalith.
»Ich auch nicht«, erwiderte O-holi-bamah, »aber nirgendwo sonst bekommen wir, was wir für den Den brauchen. Bald können wir uns den Weg ohnehin sparen. Die Kräuter, die der Pelikan ins Wasser streut, werden genügen.«
»Ja, dem Den geht es besser«, sagte Yalith. »Das ist wenigstens ein gutes Zeichen.«
»Nur eines?« O-holi-bamah lachte.
Yalith schauderte. »Alles verändert sich. Mahlah meidet unsere Eltern. Mein Vater hört immer häufiger die Stimme, und was sie ihm sagt, bedrückt ihn. Aber er verrät uns nicht, was
Weitere Kostenlose Bücher