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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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richtigen Spur.«
    Sandy dachte angestrengt nach. »Die Sache mit dem Einhorn, das wäre dann also das, was man in der modernen Physik einen Quantensprung nennt?«
    »Ja?« Adnarel lächelte.
    »Wenn das Einhorn da ist, kann man es sehen, anfassen, messen. Nicht aber, wenn es – wenn es entmaterialisiert ist. Man muß es immer erst in seine Existenz zurückholen. Auf diese Weise reist man also durch Zeit und Raum. Mit dem Quantensprung. Oder, wie es mein Vater nennt, durchs Tessern.«
    »Du bist ein sehr intelligenter junger Mensch«, lobte Adnarel. »Der Vorgang ist nicht einfach zu begreifen.«
    »Kannst du es auch?«
    »Was?«
    »Tessern.«
    Wieder lächelte Adnarel. »Wie ich dir schon sagte: wenn ich im Skarabäus bin, binden mich seine Käfergrenzen. Als Seraph sind meine Grenzen weiter gesteckt.«
    »Könntest du dann sogar diesen Planeten verlassen?« fragte Sandy. »Ich meine: könntest du dann zum Beispiel in ein anderes Sonnensystem reisen?« »Gewiß. Hier sind wir nur, weil man uns hier braucht. Unsere Brüder hingegen, die Nephilim, sind an diesen Planeten gefesselt. Sie haben manche ihrer Freiheiten eingebüßt.«
    »Warum?« wollte Sandy wissen.
    Aber Adnarel betrachtete ihn nur prüfend und sagte: »Ich glaube, du kommst aus dem Norden. Und die Sonne über dieser Wüste ist jünger als die eure.«
    Er wollte also das Thema wechseln. Nun gut. »Yaliths Haar hat die Farbe deines Käferpanzers, wenn du der Skarabäus bist«, sagte Sandy. »Warum bringt sie Großvater Lamech nicht mehr das Nachtlicht?«
    »Yalith wendet viel Zeit für die Pflege deines Bruders auf.«
    Sandy war wehrlos gegen seine plötzliche Eifersucht. Vergeblich bemühte er sich, die Stimme ruhig klingen zu lassen, sie verriet ihn ja doch. »Ich würde mir wünschen, daß Yalith heute abend das Nachtlicht bringt.«
    Adnarel schaute ihn an, und Sandy errötete.
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte der Seraph. »Und du wolltest noch ein wenig im Garten arbeiten. Ich schicke dir den Greif, wenn es für dich Zeit wird, ins Zelt zurückzukehren.«
    »Was ist ein Greif?«
    Adnarel sagte: »Du würdest es ein mythologisches Fabelwesen nennen.«
    »Aber doch hoffentlich nicht so eines wie das Mantichora?« Sandy hatte diese Schreckgestalt noch allzu gut in Erinnerung.
    »Ein Greif verfügt über einen größeren Wortschatz als das Mantichora«, sagte Adnarel. »Manche Greife sind wild, aber meine Freundin ist sanftmütig wie ein Lamm.«
    »Der Greif ist eine Sie? Wie sieht sie denn aus?«
    »Halb Löwe, halb Adler.«
    »Und welche Hälfte ist welche?« Immerhin war es Adnarel jetzt gelungen, Sandys Gedanken von Yalith abzulenken.
    »Sie hat einen Adlerkopf und Adlerschwingen und dazu einen Löwenrumpf. Sie kann also wie ein Adler fliegen und ist zugleich löwenstark.«
    Adnarel ging, und Sandy machte sich an die Arbeit. Als er müde wurde, legte er sich in den Schatten und schloß die Augen.
    Ein dunklerer Schatten als jener der Palmen legte sich über sein Gesicht. Das war wohl der Greif. Sandy blinzelte.
    Kein Fabeltier, sondern eine junge Frau stand vor ihm. Sandy stockte der Atem. Eine solche Schönheit hatte er noch nie gesehen. Sie war klein, wie alle Bewohner der Oase, und trug ein Ziegenfell über der Schulter. Ihr Haar war eine einzige Explosion von glutrotem Sonnenschein; die Mandelaugen waren grün wie das Gras im Frühling; die Haut war pfirsichfarben, die Figur schlechthin perfekt.
    »Hallo«, sagte sie mit strahlendem Lächeln. »Wie nett, dich wiederzusehen.«
    Sandy blickte verständnislos zu ihr auf.
    »Ah, erinnerst du dich nicht mehr an mich? Es tut mir wirklich leid, daß mein Vater und mein Bruder dich so unsanft...«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Sandy konnte seine Augen kaum von ihr abwenden.
    »Davon, wie du so plötzlich in unserem Zelt aufgetaucht bist, und mein Vater und mein Bruder…« Wieder brachte sie den Satz nicht zu Ende, als sei es ihr unangenehm, davon reden zu müssen.
    »Ich war nie in eurem Zelt.« Sandy war verwirrt. »Ich verlasse Großvater Lamechs Zelt nur, wenn ich im Garten arbeite. – Ah, du meinst wahrscheinlich meinen Bruder.«
    Sie riß die Augen auf. Ihre Wimpern waren lang, dunkel und schön. »Deinen Bruder?«
    »Meinen Zwillingsbruder«, sagte Sandy. »Wir sehen einander zum Verwechseln ähnlich.«
    »Du warst nie in Noahs Zelt?«
    »Nein. Das ist Dennys.«
    »Oh. Wer bist dann du?«
    »Ich bin Sandy.« »Oh. Also Sand, ich freue mich, dich kennenzulernen und zu sehen, daß es dir

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