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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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dem rhythmischen Schwanken anpassen konnte. Trotzdem würde es ein mühseliger Ritt werden. Bald trabte das weiße Kamel schneller und noch schneller, es flog schier über die Wüste.
    Plötzlich war da ein Echo zum Hufschlag zu hören, dumpfes Stampfen auf Sand und Stein. Eine heisere Stimme brüllte: »Hunger!« Und Dennys spürte brennend heißen Atem im Nacken. Er verlor den Halt, glitt immer weiter vom Rücken des Kamels, zappelte hilflos an seiner Flanke, merkte, daß es ihn mit seinem Leib deckte, sich dem brüllenden Widersacher entgegenstellte. Zuletzt hing Dennys mit dem Kopf nach unten und konnte unter dem Bauch des Kamels durchsehen.
    Jemand starrte ihn an. Ein Gesicht. Zottelhaar. Eine mächtige Nase. Blutunterlaufene Augen. Gebogene Hörner, die gefährlich spitz zuliefen. Und zu dem Gesicht gehörte ein Löwenkörper, der in einem Skorpionschwanz endete. Dergleichen hatte Dennys noch nie gesehen, wollte es auch jetzt nicht sehen. Er krallte sich in das weiße Fell des Kamels, zog sich mühsam wieder hoch.
    »Hunger!« brüllte das Zottelwesen.
    Dennys hatte Angst. »Wird es mich auffressen?«
    Das Kamel wandte den Kopf, sah ihn aus ausdruckslosen Augen an.
    »He, du!« rief Dennys. »Warum tust du nichts dagegen?«
    Der riesige Zottelschädel tauchte bedrohlich nahe über dem Kamelrücken auf. »Hunger!« brüllte das Unwesen noch einmal. Es sperrte den Mund auf, zeigte zwei Reihen häßliche, vom vielen Kauen verunstaltete Zahnstümpfe.
    »Hilfe! Hilfe!« rief Dennys und klammerte sich verzweifelt fest. Der stinkende Atem streifte ihn. Die blutunterlaufenen Augen starrten ihn aus nächster Nähe an. Dennys fand kaum die Kraft, ihnen standzuhalten. Die dicke Zunge schlängelte heraus, stieß zu. Dennys wich zurück-zu spät. Schon hatte der Mann-Löwe-Skorpion zum Sprung angesetzt und Dennys in den Sand geschleudert.
    »Kamel!« rief er. »Bitte werde wieder Admael!« Tänzelnd versuchte er dem Untier zu entkommen.
    Das Kamel stellte sich geschickt zwischen die beiden. Schaute Dennys an. Schien ihn zu erinnern, daß Seraphim nicht bereit waren, in den Lauf der Dinge einzugreifen.
    »Aber wenn ich aufgefressen werde, ändert das ja auch alles!« rief er verzweifelt.
    Ein Lichtblitz, fast wie jener, der vom Einhorn ausgegangen war. Das Kamel wuchs weiß und groß in den Himmel, streifte an die Sterne, fing blaues Feuer – und dann stand Admael neben Dennys und sagte: »Geh, Mantichora! Geh rasch! Aber geh nicht zu den Zelten. Und hüte dich, ein Mammut anzufallen.«
    Dem Mantichora tropften auf einmal Tränen über die Wangen, versickerten im Zottelbart.
    »Und versuche nicht, mein Mitgefühl zu erregen.« Admael zögerte. »Nein, ich fühle mit dir, du Stiefkind der Natur.«
    Das Mantichora wandte sich mit gesenktem Haupt ab, der Löwenleib trottete traurig in die Wüste, der Skorpionschwanz rasselte.
    »Uff!« Dennys atmete auf. »Das war knapp.«
    »Nicht unbedingt. Der Mut eines Mantichoras ist so armselig wie sein Wortschatz. Komm, wir gehen.«
    Dennys schaute ihn fragend an.
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte Admael. »Wir haben die Oase beinahe umrundet.«
    Dennys spürte ohnedies wenig Lust, wieder auf einem schwankenden Kamelrücken zu sitzen. Dennoch fragte er: »Du verwandelst dich nicht mehr zurück?«
    »Nicht jetzt. Das kostet viel Energie, und wir vergeuden nur ungern unsere Kräfte. Mach rasch. Das Mantichora ist feige, aber andere Geschöpfe können uns bei Nacht in der Wüste gefährlich werden.«
    Admael schaute in den Himmel, und als Dennys seinem Blick folgte, sah auch er den Aasgeier, der zwischen den Sternen weite Kreise zog.
    Dunkel hob sich der Kreis der Nephilim vom Sand der Wüste ab. Nur wenn sie zum Zeichen ihrer Macht zwischen ihren Gestaltformen hin und her flackerten, blitzten Flammen auf, heller denn jene, die aus dem Berg schossen. Als Nephilim sprachen sie in Impulsfolgen von Primärenergie, verwandelten sich als negativer Lichtblitz in Tiergestalt zurück und ließen ihre Flügel erst wieder erstrahlen, wenn sie erneut das Wort ergriffen.
    Das Krokodil sperrte den Rachen auf, und grüne Schwingen wuchsen in den Himmel. »Was haben sie hier zu suchen?«
    »Wer sind sie überhaupt?« Zinngraue Flügel zerfaserten wie Rauch, und der Rattenschwanz zuckte.
    Die Luft war mit Schwefelgeruch erfüllt und aufgeladen von der Energie des Gestaltwandels. »Sie sind keine wirklichen Riesen.« Rote Flügel, rotes Haar peitschten den heißen Wind, dann sirrte die Stechmücke.
    »Sie

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