Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
Vom Netzwerk:
sehr genau darauf geachtet, ob der Großdichter und das ehemalige Parteigroupie Frau Dreyer mimisch oder sonstwie zugaben, sich von Geschlechtsteil zu Geschlechtsteil zu kennen. Fehlanzeige! Sollte da am Ende in Wahrheit gar nichts gelaufen sein?
    Während des Aperitifs sprachen ausschließlich der Bürgermeister und Frau Dreyer mit dem alten Vollmer. Frau Dreyers Brüste befanden sich minutenlang direkt vor dem Gesicht des altersgebeugten Vollmer. Der würde laut Plan folgendes Angebot erhalten: Sollte die angedeutete Absicht Hinnerk Vollmers in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der bestehenden Ehepaar Vollmer Stiftung sich in die Tat umsetzen, sollte also tatsächlich ein zweistelliger Millionenbetrag für die MO und ihren Betrieb gespendet werden, würde der Senat beschließen, beiden Vollmers den Ehrenprofessorentitel zu verleihen. Außerdem könnte sogar darüber nachgedacht werden, sie zu Ehrenbürgern der Hansestadt Bremen zu machen. Das alles würde, wenn es denn gelänge, mit Sicherheit andere Großspenden nach sich ziehen.
    Es war so weit. Der Bürgermeister erhob sich und hielt seine Tischrede: »Sehr geehrter, lieber Günter Grass, hochgeschätztes Ehepaar Vollmer, verehrte Fürstin von Sayn-Wittgenstein, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren.«
    Er begann damit, wie er als Junge, kurz vor seiner Konfirmation, mit seinen Eltern – der Vater ein kleiner Schiffsausrüster aus dem Bremer Schnoor, die Mutter eine angehende Lehrerin – zum ersten Mal im Bremer Rathaus war, und während des Rundganges auch ins wunderschöne Kaminzimmer kam, dorthin also, wo man jetzt zusammen speiste. Sein Vater habe ihm damals erklärt, dass die Delfter Porzellangarnitur wie auch die prachtvolle kleine Uhr auf dem Kaminsims Geschenke Bremer Bürger anlässlich der Eröffnung des Neuen Rathauses im Jahr 1913 gewesen seien. Und an diesen Tag habe er immer wieder zurückdenken müssen, wenn es um das traditionelle Mäzenatentum des Bremer Bürgertums für das Wohl und die Kultur der Hansestadt ging.
    Und so fort; die Sache mit dem Rundgang und so weiter war natürlich erlogen. Alles war freie Erfindung. Altes bester Redenschreiber beherrschte diese Art von Dichtung genial, und der Bürgermeister erzählte seine eigene angebliche Lebensgeschichte mit sentimental bewegter Stimme.
    Es folgten die großen Zukunftsaufgaben, die Hinwendung Bremens zur Weser und zum Meer, das große, »ja epochale« Projekt im Hafen, die MO , das großartige Aquarium, die Marina, – die Welt würde auf Bremen schauen. Kein einziger Leuchtturm übrigens, kein Quantensprung und kein Meilenstein, lediglich ein einziges Mal »kreativ«, und auch sonst benutzte der Bürgermeister allerfeinste Rhetorik. Besser hätte es selbst ein um Ernsthaftigkeit sich bemühender Glabrecht nicht machen können, trotz seiner beiden Rhetorikseminare, für die er einst zwischen Frankfurt und Tübingen gependelt war: Captatio benevolentiae, »Ihnen, verehrter Hinnerk Vollmer, muss ich es ja nicht sagen, sie wissen es besser als ich«, Repetitio, Concessio, Brachylogie, Antitheton, »jetzt die Hände in den Schoß zu legen, das wäre nicht der richtige, es wäre exakt der falsche Weg für Bremen«, und so weiter.
    Am Ende kam der Bürgermeister, von der Wucht seiner inneren Bewegtheit leicht in die Knie gezwungen, mit tiefem Blick in die Augen der Vollmers, wieder dort an, wo er begonnen hatte: bei der Liebe des Bremer Bürgertums zu seiner Stadt und deren Kultur und – der Blick wechselte zum ungerührt Pfeife rauchenden Grass – zum »Nobelpreisträger und eigentlichen Gewissen unserer Nationalkultur, den auch unsere Stadt mit großem Stolz als ihren kulturellen Paten ansehen darf«.
    Der Bürgermeister setzte sich, alle klatschten begeistert, Günter Grass legte seine Pfeife auf den Tisch und klatschte ebenfalls, indem er gleichzeitig einige offensichtlich anerkennende Worte zu Elisabeth Siebelschmidt-Moormann sagte, und dann kamen die livrierten Ratsdiener und servierten die unvermeidliche Bremer Hühnersuppe. Man reichte Weißwein aus dem Bremer Ratskeller, einen ausgezeichneten Zeltinger Sonnenuhr Riesling, der auch zum Hauptgang passte, zu den ebenso unvermeidlichen Limandesfilets. Als der Kellner einschenkte, wartete Glabrecht, scheinbar zerstreut, sehr lange, bis er »danke!« sagte. Das Glas war deswegen fast bis oben voll geworden, und er konnte einen großen Erlösungsschluck abtrinken, ohne aufzufallen.
    Mein Gott, welch ein Labsal für sein

Weitere Kostenlose Bücher