Die große Verschwendung
männlichen Säugling erschienen war! Das waren glücksselige Situationen damals, an diesen Brüsten, die umso süchtiger memoriert wurden, je näher das Ende rückte.
Irgendwann würde der Bürgermeister sich zu Vollmer hinbeugen und ihm die Möglichkeit anbieten, den Fonds für die Betriebskosten der MO exklusiv zu bestücken, als »Vermächtnis« sozusagen – wobei dieses todesträchtige Wort selbstverständlich auf keinen Fall benutzt werden würde – als Vollmer-Stiftung für die Maritime Oper .
Sie saßen im »Kaminzimmer« des Neuen Rathauses zu Bremen, das in Wahrheit alles andere als neu, sondern fast hundert Jahre alt war.
Frau Dreyer zu Glabrechts Linken brachte ihre im weit ausgeschnittenen Abendkleid sprungbereit lauernden Brüste einfach nicht unter räumliche Kontrolle. Zweimal hatten sie bereits den nachbarlichen Oberarm gestreift, und Glabrecht hatte dieses herrliche, weltweit geschätzte und vollkommen unverwechselbare federnde Nachgeben gespürt. Leider bremste die in die Jahre gekommene und ziemlich verbrutzelte Haut der Dekolletee-Zone ein wenig die Phantasie ab, wenigstens bei Glabrecht – hoffentlich nicht beim alten Vollmer.
Hinnerk Vollmers zirka siebzigjährige Gattin Irmgard hieß im Senat nur »die mit dem Jodeldiplom«. Sie hatte sich »was Eigenes« geschaffen, nämlich einen Handel mit chinesischer Kleinplastik, den sie seit einigen Jahren, angeblich sogar erfolgreich, betrieb. Inzwischen war sie überdies chinesische Honorarkonsulin geworden, und ihr Maybach trug ein übergroßes »CC«-Zeichen. Ärgerlicherweise saß sie Glabrecht gegenüber, steckte in einem sehr schmal geschnittenen chinesischen Qipao-Kleid von leuchtendem Türkis, mit einem hohen, geschlossenen Kragen, auf dem der vertrocknete, gleichwohl zu groß geratene Kopf saß, als habe man ihn draufgeschraubt. Ihre Tochter Sylvia, das einzige Kind, künftige Milliardenerbin, hatte irgendwann einen relativ hässlichen Fürsten von Sayn-Wittgenstein geheiratet, der es in Süddeutschland zu einem gewissen Reichtum als Immobilienmakler gebracht hatte.
Das »von« anstelle des »zu« zeigte, dass es sich um ein solches Exemplar der Sayn-Wittgensteins handelte, das aus adoptierten oder angeheirateten Zusammenhängen stammte. Möglicherweise wusste Sylvia dies am Beginn ihrer großen Liebe gar nicht. Jetzt existiert diese Ehe, wie man hörte, nur noch auf dem Papier. Sylvia war Ende vierzig. Von hinten sah sie wegen ihrer hellblond gefärbten, lang und glatt getragenen Haare wie eine junge Frau aus. Umso größer war das Entsetzen, wenn sie sich wendete und ihr großes Reptiliengesicht mit seiner ungesunden Bräune und der aufgespritzten Oberlippe zum Vorschein kam. Sie malte Landschaften und nannte sich frechweg die Begründerin einer »Neoworpsweder Schule«.
»Ebenfalls beim Dinner:«, so würde am übernächsten Tag der Weser Kurier berichten, »Kunst- und Kulturagentin Christiane Gräfin von Rentzlow aus Hamburg, Sponsor Ferdinand Sauvan (BMW), Banker Konrad Hinrich von Donner, Fabian Graf von Brockdorff-Rantzau mit Freundin Brunhild Freifrau von Ziegelbusch.«
Fast der gesamte Senat war anwesend, Wissenschafts-Bohnhoff, mit dem Glabrecht persönlich recht gut auskam, war sein Nachbar zur Rechten. Fred Bohnhoff stand bereit, enthusiasmierte und launige Beiträge zum angeblichen Erfolg des Science-Center und zum geplanten Kosmos zu halten, falls das verlangt würde. Die Kultur-Fröhlich musste selbstverständlich, zusammen mit Glabrechts Staatsrätin Dr. Elisabeth Siebelschmidt-Moormann, die ihm von der SPD aufgepresst worden war, neben Günter Grass sitzen. Grass markierte das andere Ende der Tafel, und ihm war offenbar nicht klar, dass sein Pfeifenrauchen nervte, zumal sein Kopf mit der hineingesteckten Pfeife, wie er ohne sichtbaren Hals direkt auf den Schultern saß, nur unwesentlich über die Tischkante ragte. Wenn es so etwas wie einen vergreisten Seehund gäbe, der lange nicht mehr im reinigenden Wasser war und zufällig gerade Pfeife rauchte, hätte sich ein Vergleich zwischen ihm und Grass aufgedrängt, den man mit einer pompösen, vom ZDF aufgezeichneten Lesung aus seiner Autobiographie, die am folgenden Tag im Festsaal des Rathauses stattfinden würde, nach Bremen gelockt hatte.
Was er nicht wusste: Sein Hauptauftritt war dieses Essen. Er lieferte die Aura der Weltkultur ab, die der Senat, neben den Titten, für den alten Vollmer brauchte. Glabrecht hatte während des Händeschüttelns unter den Gästen
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