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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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mit diesem leichten Schielen zu tun, das jetzt – vielleicht lag es am Wein – häufiger sehr kurz in Adrianas Augen einfiel und wieder verschwand? Oder trug sie starke Kontaktlinsen?
    Derjenige Teil seines Wesens, der sich stets außerhalb der Situation aufhielt, hatte an dieser Stelle eine gewisse generelle Abgeschirmtheit Adrianas notiert, dass da etwas auf sich selbst zurückgelenkt war, was Glabrecht gern gespürt hätte. Ihrer weiteren Erzählung entnahm er, dass ihre Mutter sich mit einigen Affären in den Intellektuellenkreisen des Vaters getröstet hatte, ehe sie beschlossen hatte, zurück nach Europa zu gehen.
    Während sie dies erzählte, legte Adriana ein paarmal ihren Kopf schief, so ähnlich, wie Kinder das gelegentlich tun, wenn sie etwas sagen müssen, das ihnen peinlich ist.
    »Lieben Sie Ihre Mutter nicht besonders?«, fragte Glabrecht.
    »Wieso? Es – gab eine Zeit, da hatte ich große Probleme mit ihr. Und, ehrlich gesagt, wir sehen uns im Augenblick nicht besonders oft. Sie ist eine schöne Frau, eine typisch norwegische Schönheit. Heute lebt sie übrigens in Wien. Mein Vater hat nicht viel von ihr bekommen. Alles musste sich um sie selbst drehen, einfach alles. – Ja. – Sie kümmerte sich nicht um unser Essen, er musste das tun. Immer hatte sie irgendwelche Beschwerden, und er liebte sie, wie ein Hund seinen Herrn liebt. – Ja.«
    »Ungewöhnlich für einen Intellektuellen«, sagte Glabrecht.
    »Er war ein weicher, zart gebauter Mann. Er lebte nur für die Literatur – und für meine Mutter.«
    Glabrecht legte seine rechte Hand sehr kurz auf ihre Linke. Adriana hielt den Blick gesenkt.
    7.
    Und dies war der Zauber, der Glabrecht nun seit einigen Tagen nicht mehr losließ, während die Maritime Oper und ihre Anhängsel den größten Teil seines Arbeitsalltags bestimmten. In das Fund-Raising-Dinner an diesem Freitagabend setzten Bürgermeister Alte und sein gesamter Senat die größten Hoffnungen. Es musste ein Erfolg werden für die Maritime Oper , beziehungsweise für den Fonds, aus dem ein Teil der späteren Betriebskosten fließen sollte. Glabrecht hatte besonders den achtzigjährigen Kaffeefürsten Hinnerk Vollmer im Visier. Er sollte über eine Milliarde Euro schwer sein. Lange würde er es nicht mehr machen, sagte man. Ein Beileidsschreiben an seine Frau und eine Pressemeldung des Senats über sein Ableben hatte Glabrecht bereits höchstselbst verfasst und abgespeichert. Der Ordner für Nachrufe, den er in seinem Word -Programm angelegt hatte, war inzwischen recht umfangreich geworden. Außerdem hatte er Dutzende von sprachlichen Pauschalmodulen erfunden, um die Bestürzung des Senats über das Ableben eines imaginierten Mitbürgers zum Ausdruck zu bringen. Sie konnten nach Bedarf kompiliert werden. Dieses vorauseilende Verfassen von Trauerfloskeln und ganzen Beileidsschreiben unterhielt Glabrecht vergleichsweise gut. Selbstverständlich wurden vor allem solche Bürgerinnen und Bürger betrauert, die ihn besonders nervten. Aber es waren auch Leute dabei, die ihm relativ sympathisch waren und denen er auf diese Art eine Ehre erwies.
    Die Tafelrunde war versammelt, und auf ein Kopfnicken von Bürgermeister Alte hin wurden die Plätze eingenommen. Alte selbst saß zu Hinnerk Vollmers Seite, ihm gegenüber befand sich Altes Büroleiterin Frau Dreyer, eine attraktive blonde Enddreißigerin mit bemerkenswert großen Titten. Dreyer stammte aus dem hessischen SPD-Parteiapparat. Sie war, sagte man, als sie sehr jung war, Parteigroupie gewesen, und sie sei regelmäßig von SPD-Oberen und angeschlossenen Kulturgrößen – auch von Günter Grass, dem Ehrengast beim heutigen Dinner, war die Rede – gevögelt worden. In Bremen war sie ursprünglich als Leiterin der Stabsstelle »Gender Mainstreaming« vorgesehen, eine mit zwölf hoch dotierten Planstellen ausgestattete Versorgungsinstitution für grüne und sozialdemokratische Feministinnen und Lesben. Dass Frau Dreyer dort am falschen Platz gewesen wäre, war augenfällig.
    Bürgermeister Alte und Glabrecht hatten sich diese Sitzordnung im vertraulichen Gespräch ausgedacht. Glabrecht plante, die leicht anzüglichen Dinge zu sagen, die die Phantasie des alten Vollmer in Richtung auf die Riesentitten in Marsch setzen würden. Er war überzeugt davon, dass große Brüste für einen in Todesfurcht regredierenden alten Mann immer wichtiger werden. Man musste sich nur klar machen, wie gigantisch groß selbst eine lediglich mittelmäßige Brust dem

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