Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
Vom Netzwerk:
Langem! Ansonsten schien sie sich fast ununterbrochen im Kosmos ihrer eigenen Attraktivität zu bewegen. Drei-, viermal war sie mit ihrem Täschchen im Bad gewesen, mindestens einmal pro Minute zupfte und schob sie irgendwo an ihrem Körper oder an der Kleidung herum, und wenn sie mit Regenschirm auf die Terrasse trat, um eine Zigarette zu rauchen, hatte sie Gelegenheit, gleichzeitig die weißen Kopfhörer ihres iPods in die Ohren zu stecken, wohl um die eigene adlige und hochästhetische Isoliertheit von den anderen zu unterstreichen. Sobald die rechte Hand frei war, wurde außerdem das Handy aus der Hosentasche gezogen und in Betrieb gesetzt, um eventuell eingegangene SMS zu besichtigen.
    »Du meinst, dass die Drachen so was sind wie Archetypen, und die Archetypen hat es irgendwann mal tatsächlich gegeben?«
    Offenbar hatte sie C. G. Jung gelesen, sie wollte ja Psychologie studieren. Letzteres hatte sie vorhin angekündigt, Glabrecht erinnerte sich jetzt. Er konnte den betreffenden Satz im Nachhinein aus dem allgemeinen Geplapper herausisolieren, dessen Bestandteil er gewesen war und das sich wie Sediment in Glabrechts Gedächtnis abgelagert hatte.
    »Könnte doch sein. Denk mal an den archetypischen Baum, von dem Wüstenbewohner träumen, auch wenn sie noch nie im Leben einen richtigen Baum gesehen haben.«
    Alle anderen guckten ihn an, bewunderten ihn dafür, dass er fast jeden Wissensbrocken auf dessen eigenem Feld besichtigen konnte. Und das bei diesem Alkoholkonsum! Mit seinem Breitenwissen war er in der Tat unschlagbar. Er fraß Informationen, vor allem diejenigen, die ihm nichts nutzten. Marianne sagte häufig, er solle sich doch bei »Wer wird Millionär?« anmelden.
    »Aber mal im Ernst, Marianne«, sagte er, den Kopf jetzt zu seiner Frau neben sich gewandt, »wer sollte denn Interesse daran haben, Jahrhunderte lang solche Irrlehren aufzubauen? Ich meine, was habe ich davon, wenn ich die Evolution erfinde? Die Leute interessieren sich doch gar nicht für diesen Kram. Beschissen wird doch nur, um an Geld ranzukommen oder an Macht. Aber das ist ja mehr oder weniger dasselbe. Und am Ende natürlich an Sex. Jedenfalls gilt das für uns Männer.«
    »Ist dein Weltbild nicht ein bisschen einfach?«, sagte Marianne. Ihre Geduld mit ihm war jetzt zu Ende, er kannte den Blick, der das signalisierte, sehr gut.
    »Nur unwesentlich«, sagte er.
    Obwohl er bemerkte, wie sein innerer Friede verschwand, wie er die Kontrolle über seine Sätze verlor, wie die Militanz über ihn kam, konnte er den Prozess nicht stoppen. Es war wie eine Sucht.
    »Ich mache es etwas genauer: Wenn du wissen willst, was die Männer interessiert, musst du in deinen Spam-Ordner schauen: Uns interessieren ganz offensichtlich drei Dinge: ›Penis Enlargement, Viagra und Valium ‹!«
    Er nahm einen großen Schluck Rotwein. Marianne schämte sich für ihren Mann, das sah er. In der Gegenwart der kleinen Elisabeth so etwas zu sagen! Das Ehepaar von Zirler bemühte sich, neutral zu schauen. Glabrecht war schließlich der Ranghöhere. Annie schüttelte verärgert den Kopf, einzig Elisabeth sympathisierte wohl ein wenig mit dem Provokateur. Sie nickte sogar, stimmte ihm zu.
    » Dich interessiert das vielleicht, Georg! Das sind vielleicht deine Interessen!«, sagte Marianne.
    »Na, von Viagra mal abgesehen«, sagte Glabrecht lachend.
    Einige Sekunden war es jetzt absolut still am Tisch, nur die Regengeräusche durchbrachen die Peinlichkeit.
    »Und was interessiert die Frauen?«, sagte Elisabeth plötzlich.
    »Was die brauchen, gibt’s alles günstig und legal zu kaufen: Sie brauchen Milchkaffee, Salat und IKEA . Ach ja – und Beziehung natürlich, aber die besteht ja ebenfalls aus Konsumieren, aus Einrichtungsgegenständen und gemeinsam durchgestandener Langeweile. BEZIEHUNG!«
    Glabrecht hatte das Wort laut und gedehnt über den Tisch geheult. Alle schauten ihn an, hatten fertig gegessen, schwiegen, warteten darauf, was als Nächstes von ihm kommen würde.
    »Georg, du hast den Verstand verloren«, sagte Marianne sehr mühsam, indem sie eine lustige Grimasse schnitt. Das entspannte die Situation für die anderen, nicht jedoch für Glabrecht, der von der Seite her einen furchtbaren Blick erhalten hatte.
    Kurz vor zweiundzwanzig Uhr war es jetzt. »Bin gleich zurück«, sagte er, lachte, erhob sich, fühlte die Blicke auf seinem Rücken, als er sich mit leichter Gangunsicherheit keineswegs zum Klo bewegte, sondern, zwei, drei Stufen auf einmal

Weitere Kostenlose Bücher