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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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ihrer Unattraktivität geachtet. Nun war das ganze Zeug gealtert, grau und noch fader geworden, als es damals schon gewesen war. Sie konnten sich beide beruhigen, da würde nichts passieren. Die beiden in Harmonie gebrachten Hässlichkeiten konnten einander gar nicht verlassen. Diese Ökoprotestanten gehörten außerdem nicht zu den massenhaft vorhandenen Zeitgenossen, die markant oberhalb ihres eigenen sexuellen Marktwerts herumficken wollten.
    Glabrecht musste jetzt unbedingt seine Schmähsucht zügeln, sonst würde es heute Abend noch zur Katastrophe kommen! Er atmete ein-, zweimal tief durch.
    »Ding, dang, dong«, der elektronische Gong legte erneut los. Frau Brinkmann öffnete die Tür. Die von Zirlers traten ein, sie zuerst, mit einem weiteren verdammten Blumenstrauß in der Hand, dann kam der Senatsdirektor, er trug eine Weinflasche. Und als hätte jemand die Gruppe dirigiert, stieg plötzlich der allgemeine Heiterkeitspegel. Wahrscheinlich trug auch Glabrecht, nach seinem an sich selbst ergangenen Aufruf zur Disziplin, irgendwie atmosphärisch dazu bei, obwohl er doch im Moment gar keine Geräusche von sich gab. Seine Frau lachte, und überhaupt war alles eindeutig viel lauter als noch gerade zuvor: Die von Zirlers traten in eine sehr heitere Runde ein.
    Später entwickelte sich alles nicht sehr günstig. Annie hatte den Blazer abgelegt, drunter trug sie ein ärmelloses Sommerkleid. Sie saß Glabrecht gegenüber, und der konnte den Blick zu selten von der Hautfalte abwenden, die sich zwischen dem rechten Oberarm und Annies Brustansatz befand.
    Brustansatz ! Das Wort gefiel ihm! Er musste es lediglich von Annie ablösen und in den leeren Raum stellen. Brustansatz ! Und obwohl es kein Huhn geben würde, dachte er an die Haut, die sich bei gerupften Hühnern zwischen den Flügeln und dem Rumpf wellte. Als Kind hatte er gelegentlich mit Tiefkühlhühnern herumgespielt. Dieses Nahrungsmittel war damals neuartig und sehr modern. Ständig hatte es aufgetaute Hühner gegeben. Er hatte die beiden Flügelstummel gepackt und auseinandergezogen, so dass sich jene Haut einigermaßen glatt spannte, und dann rannte er mit den Tieren durch die Küche, wobei er mit flatternden Lippen die Geräusche eines Flugzeugmotors imitierte.
    Jetzt überprüfte Glabrecht unauffällig, ob sich unter seinem Hemd, am Ansatz der Oberarme, ebenfalls solch ein Hautlappen spannte. Aber der ganze Kram fühlte sich noch einigermaßen manierlich an bei ihm und würde Adriana Fallhorn gewiss nicht an aufgetaute Tiefkühlhühner erinnern. Unterhalb des Brustbeins weitete sich plötzlich der Hohlraum, in dem ihr Name wohnte. Sehr voluminös war dieser Name geworden. Das, was in seinem Klang wohnte, hatte Glabrecht regelrecht erschreckt.
    »Was hast du, Georg?«, fragte leise Marianne, die rechts von ihm saß und die offenbar beobachtet hatte, dass er sich häufig an die Brust gefasst hatte.
    »Nichts, Schatz! Habe wohl ein bisschen zu viel trainiert.«
    »Alles musst du übertreiben!«
    Sie legte ihre Hand kurz auf seinen Rücken, ehe sie weiter aß. Im Unterschied zu Annie hatte sie Oberarme mit federndem, halbfestem Gewebe, einem Material, das man nur an Frauen fand. Die Haut war rauh, ja sogar leicht kratzig und stachlig. Das war früher anders gewesen.
    »Trink nicht so viel!«, sagte Marianne flüsternd, indem sie sich seinem Ohr näherte.
    Die anderen, von Elisabeth abgesehen, redeten gerade sehr engagiert über Flachbildschirm-Fernseher, das heißt, eigentlich kannte sich, wie Glabrecht hörte, nur Fred tatsächlich mit den Dingern aus. Die beiden Gastfrauen lobten einhellig deren ästhetische Zurückhaltung im Wohnraum. »Ich finde, sie wirken fast wie ein monochromes Gemälde von Malewitsch«, sagte Gerhild von Zirler.
    Glabrecht schenkte häufig Rotwein nach, immer nur ein wenig, weil er sich einbildete, Marianne damit täuschen zu können, und weil er ansonsten noch mehr getrunken hätte. Er langweilte sich nämlich in einer wirklich elementaren Weise, gegen die außer Wein rein gar nichts half. Die riesigen Rotweinkelche waren in diesem Zusammenhang sehr gefährlich.
    Alle außer Elisabeth tranken und redeten meist durcheinander. Marianne schwieg im Augenblick, folgte aber sehr konzentriert dem Gespräch der anderen. Offenbar wartete sie auf einen günstigen Anknüpfungspunkt. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis sie mit den neuesten Verschwörungstheorien anfangen würde.
    Ihre Neigung zu Geheimlehren hatte vor ungefähr zehn

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