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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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denunzieren mit irgendwelchen Hinweisen auf ihre materiellen Ursachen, weder die Gefühle von Frauen mit dem Hinweis auf das Geld und den öffentlichen Status der begehrten Männer, noch diejenigen Glabrechts mit dem Hinweis auf die Schönheit von Adrianas Körper! Dachte er vielleicht an ihre Brüste, die junge Haut? Dachte er an ihre Geschlechtsteile und das übrige Arsenal an Sexualreizen? Nicht im Mindesten, und wenn es anders gewesen wäre, hätte er die fälligen expliziten Vokabeln vorerst durch poetischere Exemplare ersetzt. Noch hielt sich alles bei ihm sehr stolz im Ätherisch-Immateriellen auf. Allenfalls die Schönheit des Gesichts, der Klang der Stimme, der Blick der Augen, die Werbeflächen der Seele also nahmen am inneren Gespräch Glabrechts teil. Irgendwann würden sich die organischen Reize wie von selbst in den Wahrnehmungsvordergrund spielen, spätestens nach dem ersten, üppig orchestrierten Geschlechtsverkehr.
    Und bei Adriana war es wahrscheinlich so gewesen, dass die teuren Konsumgegenstände und die Luxusallüren zum quasiorganischen Teil des Liebespaares geworden waren.
    Das Problem war vielleicht, dass diese Vergleiche hinkten, denn Glabrecht hätte niemals etwas außerhalb von Adriana begehrt, alles bis zur Grenze ihres Leibes, auch den Geist, auch die Seele, aber nichts, was außerhalb von ihr war, es sei denn, ihr Geist und ihre Hände hätten es ganz unmittelbar hergestellt, ein Kunstwerk, ein Buch, ein Werkstück, den Klang, den sie mit Hilfe eines Musikinstruments erzeugt hätten. Wo aber endete der Mann, wo waren die Grenzen des Glabrechtschen Mann-Seins? Wohl erst an den Außengrenzen all dessen, was er tat, was er darstellte, an der Grenze seines Einflusses, seines Machtbereichs. Hätte Adriana diese verzaubernde Mail geschrieben, wenn er denselben Körper und Geist besessen, aber damals in Oslo lediglich der mitgereiste Referent eines anderen Senators gewesen wäre?
    Die Dinge folgten ihren Wegen. Die ersten Telefonate zwischen Glabrecht und Adriana hatten bereits stattgefunden, vom seinem Büro aus zu ihrem Büro nach Oslo, sehr bald auch abends und nachts von zu Hause aus. Er hing an der Wärme ihrer Stimme und bemerkte, dass sie es gewesen war, die ihn bereits in Oslo wie eine Heimat angelockt hatte. Sie sandte ihm einige Fotos von sich. Alle seien sie mit Selbstauslöser während des besagten Spaziergangs auf dem Holmenkollen gemacht. Glabrecht schickte das neue offizielle Pressefoto, das im Laufwerk seiner Pressestelle gespeichert war. Es war erst vor wenigen Tagen auf seinen Wunsch hin angefertigt worden, um die alten Fotos zu ersetzen. Adriana rief sofort an, »schlimm«, sagte sie, »diese Kleidung macht dich alt. Schick mir Fotos, auf denen du Pullis trägst oder Hemden mit offenen Knöpfen!«
    »Ich bin eben alt«, sagte Glabrecht. Er war betrübt.
    Sie lachte. »Na gut, die Kleidung macht dich nicht alt, sie macht dich ernst.«
    3.
    Am folgenden Samstag hatte Glabrecht keine dienstlichen Termine. Das gesamte Wochenende war frei, was noch jüngst ein Grund gewesen wäre, um sich zu fürchten. Marianne erledigte vormittags ihren obligatorischen Marktgang. Zunächst montierte Glabrecht in seinem Bad den frisch gekauften beleuchtbaren Kosmetikspiegel und machte eine Proberasur, ohne dabei seine Genitalien demütigen zu müssen. Später saß er im Garten Modell, gekleidet in ein Hemd mit maritimen blauen und weißen Streifen, mit aufgerollten Ärmeln und offenem Hemdkragen. Noch vor dem Frühstück hatte er im Keller ein wenig an der Kraftmaschine trainiert, um die Körperspannung und seine männliche Präsenz zu erhöhen. Auch sollten die entblößten Unterarme sehnig wirken. Alles geschah außerdem bereits im Hinblick auf die Minute, in der ihn Adriana zum ersten Mal nackt sehen würde und vor der er sich immer mehr fürchtete.
    Vor ihm auf dem Teakholztischchen stand die Digitalkamera, gesockelt von drei Bänden der Werke Bertolt Brechts, um annähernd die Höhe seines Gesichts zu erreichen. Ein Weinkorken stützte das Objektiv, damit die Kamera nicht nach vorne kippen konnte. Glabrecht fertigte eine Serie von Selbstportraits an, indem er die Selbstauslöserfunktion aktivierte und jeweils rasch von der Kamera zum Gartenstuhl lief. Es stellte sich heraus, dass diese hurtige Bewegung seinem Gesicht tatsächlich etwas Lockeres und Vertrauenserweckendes mitgab. Offenbar hatte es keine Zeit zu erstarren, weil es erst ganz knapp vor der Kameraauslösung in Position gebracht

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