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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Jahren begonnen, kurz nach ihrem weitgehenden erotischen Rückzug von Glabrecht, als sie von einer anthroposophischen Freundin zu Rudolf Steiner bekehrt wurde. Glabrecht hatte das anfänglich nicht ganz ernst genommen, sich sogar gefreut über diesen Irrsinn mit der Wiedergeburt, der Begierdenglut, die in der Zwischenzeit erlebt wurde, dem Ätherleib, dem Astralleib und den ganzen anderen Leibern. Das waren wunderbare Wörter, deren bloße Erfindung das Dasein dieses Steiners vor der Geschichte gerechtfertigt hätte.
    Inzwischen waren weitere Geheimlehren hinzugetreten, Homöopathie natürlich, die »spirituelle Medizin«, über die Marianne zahlreiche Bücher gelesen hatte, selbstverständlich die Tempelritter und die Illuminaten, außerdem irgendeine weltumspannende »Caspar-Hauser-Verschwörung«, eine besonders irrsinnige Theorie, die Glabrecht einfach nicht verstehen konnte. Überflüssig zu erwähnen, dass selbstverständlich der Teufel oder die CIA oder beide zusammen die Twin Towers in Manhattan gesprengt hatten.
    Und dann gab es sowieso und vor allem noch die weltweite, ja weltallweite Universalverschwörung der Männer, die die Frau als solche daran hinderten, intellektuell, gesellschaftlich, ökonomisch, philosophisch und politisch so hoch zu kommen, wie sie das zweifellos wollte, konnte und auch verdient hatte. In ihrer Kolumne »Von Frau zu Frau« in der Laura umspielte Marianne dieses Thema in heiterem und kleinkindlichem Ton. Inzwischen hatte sie den Baby Talk in Richtung Sex and the City frisiert. Keine Folge dieser Serie hatte sie verpasst und sich deutlich mit Carrie Bradshaw, der New Yorker Kolumnistin, identifiziert. Gelegentlich klang sie wie eine infantile, aber das Sexmonster spielende urbane Post-Feministin in den späten kinderlosen Dreißigern. Das ging von den ewigen Geschichten über den Schuh-Tick bis hin zur Bekämpfung der These, die Größe eines Schwanzes sei nicht wichtig. Die Wahrheit sei: je länger und dicker, desto besser! Das sei schließlich ja auch eine visuelle Frage, und man müsse den Pfahl ja nicht zur Gänze in die Erde schlagen! Im Übrigen: Wenn frau schon einen Vertreter des eher unästhetischen, behaarten und schlecht riechenden, geistig und emotional zurückgebliebenen Geschlechts zulassen müsse, dann doch bitteschön einen möglichst jungen, gut gewachsenen, der ordentlich performe und gehorche.
    Erbost leerte Glabrecht sein Glas in einem einzigen Zug. Marianne redete sich immer noch heiß, und ihr Mann richtete seine Augen sehr aufmerksam auf sie. Ihr Profil hatte, das fiel ihm gerade auf, schon wieder nachgelassen. Eigentlich genügten wenige Monate, um beim älteren Menschen sichtbar neue Verfallserscheinungen hervorzurufen. Ein ganzes Jahr: Das brachte regelrechte Katastrophen mit sich.
    Das Foto für Mariannes Kolumne war ein paar Jahre alt, deswegen wirkten ihre Sex and the City -Attitüden einigermaßen überzeugend. Im tatsächlichen Leben hatte sie allerdings im vergangenen Winter den Beginn ihres Präklimakteriums ausgerufen, so, als könne sie diesen Schlamassel gar nicht erwarten. Nur wenige Tage später hatte sie einen Ayurveda-Kochkurs belegt. Die Menopause, so stand es auf dem Werbeprospekt, der immer noch in der Küche rumlag, »führt in ein neues Licht und zu neuen tiefen Einsichten«. Die Einschränkungen der Jugend würden jetzt abgestreift zugunsten der wahren Schönheit des Alters. Ein Zuwachs an Freiheit werde erreicht – vorausgesetzt, man koche richtig und stoppe gleichzeitig mit der Weltverschwörung des Schönheits- und Jugendwahns diejenige des schlechten Essens.
    Es würde nicht mehr lange dauern, da war Glabrecht sich sicher, und bei Marianne würde diese Tango- oder Salsa-Tanzerei losgehen, um zu neuen Ufern der Sinnlichkeit oder dergleichen aufzubrechen. Er schüttelte sich vor Grauen.
    Durch die offene Terrassentür drang jetzt das Geräusch des einsetzenden und anschwellenden Regens. Diesen Tönen in aller Ruhe zuzuhören wäre wesentlich unterhaltsamer gewesen als alles, was hier um den Tisch herum passierte. Glabrecht brütete vor sich hin, das Gesicht zu einem Grinsen verzogen, dessen Künstlichkeit allenfalls Marianne auffallen würde. Gelegentlich konnte er schon nicht mehr unterscheiden, aus welcher Richtung und aus welchem Rachen das Gebrabbel gerade kam.
    Inzwischen hatten es Annie und Fred mit vereinten Kräften geschafft, alles in eine flachbildschirmkritische und allgemein erkenntnisskeptische Richtung zu lenken, und

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