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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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jetzt machte auch Marianne mit, um der Sache mit einer ziemlich dümmlichen Technikverdammung noch die letzte, entscheidende Wendung zu geben. Sie behauptete nämlich, dass die Fortschritte der Naturwissenschaft das Unglück auf der Welt nur vergrößert hätten, und alle außer Fred, dem das nun doch zu weit ging, schließlich lebte er ja von der Solartechnik, nickten. Auch Glabrecht nickte sehr eifrig.
    Ein, zwei Sekunden lang war Pause, Frau Brinkmann kam mit den Karnickeln. In der Deckung einer allgemeinen Aufgeregtheit beim Servieren trank Glabrecht drei volle Gläser Mineralwasser hintereinander, um sich damit für weiteren Rotwein zu präparieren.
    Dann, endlich war es so weit!
    »Das ist doch dasselbe wie dieser Aberglaube mit der Evolution!«, sagte Marianne, als sich alles wieder beruhigt hatte, als die ersten Bissen geschluckt, als die gegrummelten Komplimente für die Küche aufgehört hatten.
    Endlich war sie bei ihrer neuesten Verschwörung angelangt. Völlig nahtlos hatte sie den Anschluss nicht hingekriegt, aber das fiel nicht weiter auf. Es schien überhaupt nichts mehr aufzufallen an diesem Tisch, nicht einmal, dass der Furz, den Glabrecht soeben hatte fahren lassen, nicht ganz so geruchlos war, wie der Emittent das erwartet hatte. Er konnte nur hoffen, dass das alles dicht am Körper nach oben stieg. Deswegen saß er eine Weile lang unbewegt, um keine Luftwirbel zu erzeugen
    »Wie meinst du das, Marianne?«, sagte Gerhild von Zirler. »Wieso ist die Evolution ein Aberglaube?«
    »Also Gerhild! Weißt du nicht, dass zum Beispiel Menschen und Saurier gleichzeitig spazieren gegangen sind? Es hat zu allen Zeiten alle Stufen des Lebens gegeben. Dass das alles evolutionär auseinander hervorgegangen ist, das ist eine Irrlehre, und es wird alles dafür getan, um die Wahrheit zu verschleiern.«
    Den Rest kannte Glabrecht. Sie würde jetzt mindestens eine halbe Stunde von den Fußspuren beim texanischen Paluxy River erzählen, Saurierfußspuren neben solchen, die eindeutig von Menschen stammten, beide nachweislich gleich alt. Und die Fußabdrücke des Kindes, das einen mindestens fünfhundert Millionen Jahre alten Trilobiten zertreten hatte. Dann würden die »Steine von Ica« drankommen, auf denen Menschen zusammen mit Dinosauriern zu sehen waren, außerdem der geschmiedete Hammer mit dem Stil aus versteinertem Holz, sodann der Fingerhut, der 1883 mitten in einem Kohleflöz gefunden wurde, und so weiter. Am Ende würde die »Intelligenz« stehen, die jederzeit und überall aus dem Nichts heraus etwas »designen« konnte.
    Glabrecht war das alles recht, er würde sich auch die nächste Zeit nicht an dem Gespräch beteiligen müssen. Mariannes Stimme und die Stimmen der anderen verschwammen immer häufiger in seinem Ohr. Sie bildeten, im Gegensatz zum Tinnitus, ein ihm angenehmes Geräusch, eine Art Kurzwellenrauschen, vor dem er, jetzt sehr friedlich geworden, seinen Gedanken hätte nachhängen können, wenn er welche gehabt hätte.
    »Na, Georg, was hältst denn du von Mariannes Theorien?«
    Es war Gerhild, die mit dieser Frage durch die pelzige Schicht gedrungen war, die sich auf sein Wahrnehmungssystem gelegt hatte. Ihre Stimme hatte einen spöttischen Klang, so, als wollte sie in Wahrheit fragen, wie er diese offensichtliche Geisteskrankheit seiner Ehegattin ertrage, und überhaupt: ob das Ehepaar Glabrecht noch Geschlechtsverkehr habe. Diese Frage war ja sowieso unter Altpaaren gleichzeitig die interessanteste und am seltensten gestellte. Wie groß war die Freude, wenn sich mit gutem Grund vermuten ließ, dass die anderen genauso wenig vögelten wie man selbst, dass es auch bei den anderen zu einem Ende gekommen war, dass auch dort die welken Geschlechtsorgane vor der Stumpfheit des Alltags und dem skandalösen biologischen und ästhetischen Verfall der jeweiligen Ehepartner kapituliert hatten.
    »Mmhh, lass mich überlegen!«, sagte Glabrecht nach einer kurzen Pause, in der ihn alle angestarrt hatten und in der ihm die eben geschilderten Gedanken gekommen waren, »also, damit habe ich nichts zu tun. Darüber mache ich mir keine Gedanken. Andererseits, denk mal an die Drachen! Überall auf der Welt gibt es Märchen und Mythen von solchen großen Reptilien, und wenn sie gezeichnet werden, sehen sie aus wie Saurier.«
    Jetzt schaltete sich die kleine Elisabeth ein, und sofort richtete Glabrecht sich etwas auf in seinem Stuhl, streckte sich: Das war gerade Elisabeths erste kommunikative Regung seit

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