Die große Verschwendung
resignierten Zug um Adrianas Mund zu erkennen geglaubt. Inzwischen aber war dieses physiognomische Phänomen auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Glabrechts Finger zitterten, als er Adriana von seinen Pflanzenexperimenten schrieb, so, als stehe jetzt die eigentliche Prüfung an, ob es zwischen ihnen beiden tatsächlich eine Seelennähe gab.
4.
Die folgenden Wochen liefen nicht gut für den Senat der Freien Hansestadt Bremen. Der kleine Skandal um das Fetischistenfest hatte Glabrecht noch unterhalten und erfreut, zumal er selbst nicht in die Schusslinie kam. Erwartungsgemäß griff die BILD -Zeitung die Sache auf. In der Montagsausgabe nach dem betreffenden Wochenende wurde das Begleitwort aus der Broschüre als Faksimile, mit Bürgermeister-Foto und Senatswappen, abgedruckt.
Samstags war der Fetischistenzug in der Bremer Innenstadt aufmarschiert. Eine Gruppe tanzte in serbischen Tarnuniformen, schweres Peitschgerät in den Händen. Eine andere Truppe trug Gummihosen mit großen Genitalbeuteln und aufknöpfbaren Klappen auf den Gesäßen. Viele waren völlig nackt, von Ledertangas und Ähnlichem abgesehen. BILD dokumentierte Erektionen unter Gummi und Leder. Das Foto bedeckte eine halbe Zeitungsseite, schwarze Balken verbargen das Wesentliche in einer solchen Weise, dass es besonders gut zu identifizieren war.
Noch schöner für Glabrecht und peinlicher für den Schirmherrn und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen verlief die »Pervers-Party« am Samstagabend. Zwei sehr gut bestückte, genital glattrasierte und bis auf ihre Ledermasken und goldenen Ringe um die Hodenansätze völlig nackte Fetischisten flankierten den Bürgermeister, während er das Grußwort des Senats sprach, ein wahrhaft spektakulärer Anblick, der Glabrecht das beste Amüsement seit Langem bescherte. Einer der beiden Fetischistenschwänze, er sah violett, überarbeitet und ziemlich malträtiert aus, verdickte sich während der Rede leicht und bog sich bananenhaft zum Bürgermeister hin.
»Bremen ist eine tolerante und weltoffene Stadt«, sagte Bürgermeister Alte in starrem Tonfall.
»Wir sind stolz darauf, dass sich Menschen unterschiedlichster Vorlieben in unserer Stadt wohl fühlen, dass sie zusammen mit den Bremer Bürgerinnen und Bürgern feiern, dass Skepsis und Vorbehalte einem friedlichen und kreativen Miteinander weichen.«
Auch diese Szene war in BILD dokumentiert, leider wieder mit Balken über den Penissen. In der folgenden Ausgabe wurde dann ein BILD -Leser zitiert, der sich emotional und sexuell zu Tieren hingezogen fühlte und sich, angesichts der aktuellen Gesetzeslage, die eine Heirat mit seinem Hund verbot, diskriminiert fühlte. »Menschen erregen mich sexuell einfach nicht«, schrieb er.
Nun, die Wogen legten sich rasch, zumal die seriöse Presse sowie die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten den Fall totschwiegen. Das bremische Regionalfernsehen wetterte sogar gegen die Intoleranz der »populistischen Ewig-Gestrigen« und machte Interviews mit begeisterten Besuchern der »Pervers-Party«.
Unmittelbar danach traf es aber auch Glabrecht persönlich: Es traten unerwartete Probleme mit der Maritimen Oper, der Sea-World und der ganzen maritimen Erlebniskacke auf, und zwar eine ganze Menge davon. Einige ehrgeizige Nachrichtenredakteure von Radio Bremen kritisierten das Finanzierungsmodell, stellten äußerst unangenehme Fragen nach den Investoren und bezweifelten den Sinn des gesamten Bauvorhabens. Frontal 21 vom ZDF schickte seine Leute los. Glabrecht wurde interviewt, der Bürgermeister hatte keinen Termin frei, und der Moderator sagte: »Bürgermeister Reinhard Alte lehnte es ab, mit uns zu sprechen. Sein Büro gab Termingründe an.«
Verbindungen zwischen der Nordic Urban Development und kriminellen Wirtschaftskreisen wurden vermutet, nichts Genaues, es gab viel Geraune, die üblichen Fernsehbilder von Klingelschildern in Genf, Rom und St. Gallen.
»Wir stehen hier vor dem Haus Nr. 25 in der Poststraße in St. Gallen, in dem angeblich der Schweizer Justitiar der Nordic Urban Development seine Kanzlei hat. Wir klingeln, niemand öffnet.«
Das Kamerateam zog wieder ab, aber irgendwie war jetzt klar geworden, dass da etwas Betrügerisches im Gang war.
Am folgenden Montag erschien dann der SPIEGEL mit einem Bericht über die Pläne des Bremer Senats. Fotos, Animationen, ein Luftbild vom künftigen Baugelände, ein Modell der gesamten Bauplanung, einschließlich eines schneeweißen Kreuzfahrtschiffs, der
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