Die große Verschwendung
alles, organisiert von der Olympia-GmbH , sollte das »Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Olympiastadt Bremen« lenken. So stand es jedenfalls im jüngsten Zukunftsbrief maritime Metropole. Beach-Volleyball war schließlich olympische Disziplin. Zur Einstimmung auf das Spektakel tanzte ein Teenieballett auf dem simulierten Strand zu Hip-Hop. Glabrecht schätzte die jungen Damen – alle in sehr knappen String-Tanga-Bikinis, alle mit der gleichen Brauntönung aus dem Sonnenstudio – auf sechzehn, siebzehn, höchstens achtzehn Jahre. Ganz ähnlich sahen sie aus wie die Pornodarstellerinnen, in die er mittels der Vorsehung eingedrungen war. Sie formten Hohlkreuze, streckten die fast nackten Ärsche herausfordernd zum Publikum hin, schüttelten sie und lachten. Zweifellos standen öffentliche Sexualexzesse unmittelbar bevor.
Rasch machte Glabrecht, dass er weiterkam. Sedlmayr und er leiteten anschließend die Sitzung der Olympia-GmbH . Die Mitglieder der Planungskommission trafen ein. Als die Lautsprecheransagen für das Turnier auf dem Marktplatz-Strand begannen, schloss Sedlmayrs Chefassistentin Elvira, ein blonder Hardbody, auf Glabrechts Wink hin die Fenster, setzte dann, immer wieder im Kreis um den sogenannten runden Tisch laufend, der in Wahrheit ein ovaler Tisch war, die Verteilung der Unterlagen fort, in gemäßigtem Minirock und Sakko. Sie trug die Haare zu einem Dutt hochgesteckt und diese modernen hochhackigen Stiefelchen an den nackten Beinen. Erstaunlich selbstsicher war sie, professionell und polyglott, eine von diesen schlauen Medien-Beauties, wie man sie überall im Privatfernsehen sah. Von dort war sie auch gekommen, von RTL , genauer gesagt. Alle Sitzungen der Olympia-GmbH drehten sich wesentlich um Elvira. Oft wanderten die Blicke der Redenden zu ihr, so, als sei sie die Chefin, der man die wichtigen Pointen zu präsentieren hatte, um ihre Gunst zu erringen.
Wie diese einflussreichen Männer dort in der Runde saßen und auf den Beginn der Sitzung warteten, hofften sie gewiss darauf, dass die kleine blonde Elvira noch oft die Runde um den Tisch machen würde, um den Berg aus Papieren zu erhöhen, die niemals irgendjemand lesen würde. Mit ihr zusammen wanderte das Parfum um den Tisch herum, und es wanderte der Tatort, an dem man sich ihres kleinen, durch die Stiefelchen in unverschämter Weise präsentierten Arsches bedienen wollte.
Trotz oder wegen der vollkommenen Absurdität dieser Hirngespinste wurde Glabrecht schlagartig müde. Offenbar hatte auch der Besuch beim Darmspiegler ihn heftig erschöpft. Zwischen ihm und den anderen Teilnehmern, die inzwischen eingetroffen waren, baute sich etwas Trennendes auf, das wie eine dicke Glaswand wirkte. Obwohl er wusste, dass man die überaus kritische Lage, in der er sich befand, lediglich an seinen Augen erkennen konnte, und auch nur dann, wenn man einen guten Blick dafür hatte, fühlte sich Glabrecht im gesamten Antlitz, ja überall auf seinem Körper welk und grau sowie vom Verfall gezeichnet.
Er bückte sich hinunter zu seinem Aktenkoffer. In einer der Vortaschen waren seine Medikamente. Er knipste eine Koffeintablette aus der Blister-Verpackung, steckte sie, noch gebückt, in den Mund und zerkaute sie. Die brutale Bitterkeit spülte er mit Kaffee hinunter. In fünf Minuten würde die Wirkung einsetzen.
Sedlmayr berichtete über den Erfolg versprechenden Stand der Bremer Bewerbung für die Olympischen Spiele 2020. Der nächste Meilenstein werde der erste Evaluationsbesuch des Nationalen Olympischen Komitees im kommenden Monat sein.
»Da müssen wir alles geben«, sagte er tatsächlich, und er lachte.
In eine richtige Euphorie redete er sich hinein, er lachte und strahlte, und Glabrecht wusste nicht, ob dieser Mann bloß eine Rolle spielte oder ob er in dieser Phase bereits tatsächlich euphorisch war. Man musste das wohl schaffen, dieses Verschmelzen von – wie sollte man sagen? –, von Jobpsyche und dem eigenem Gemütszustand, sonst kam man nicht nach oben. Sedlmayr war vierundsechzig. 2020 würde er sechsundsiebzig sein, also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bereits tot.
Glabrecht rechnete nach: Er selbst würde einundsechzig sein, falls er überhaupt noch existierte. Eine große leere Höhle entstand in seinem Zentrum, mitten im Bauch. Jetzt hetzten kleine schnelle Zusatzgedanken durch den erstarrten Körper und endeten in der Einsamkeit der inneren Höhle: Glabrechts Mutter war mit sechzig gestorben. Klaus würde am kommenden
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