Die große Verschwendung
ungeschehen zu machen. Sein Herz schlug mühsam, im Tinnitus-Ohr rauschte das Blut, als werde es dort durch eine enge Düse gepresst. Dennoch hatte er seit langem eine völlig unpassende, hartnäckige und holzharte Erektion. Vermutlich schwelgte sein Genital, rücksichtslos sein Eigenleben demonstrierend, in den Erinnerungen an seine emsigen Tätigkeiten während der vorhergehenden Nacht.
Klaus hatte sich mit seinem Sterben zeitlich sehr ungünstig verhalten. Das Ehepaar hätte jetzt in einen engen seelischen Kontakt treten müssen, was Glabrecht jedoch physisch und psychisch unmöglich war und Marianne außerdem gewiss nicht recht gewesen wäre.
»Gestern am späten Abend. Ein neuer Schlaganfall. Im Krankenhaus kam dann wohl ein zweiter dazu.«
Glabrecht schaffte es, mit endlich abklingender Erektion, das Bett zu verlassen und Marianne in die Arme nehmen. Die Atemluft blies er nach oben, nur allzu gut konnte er sich vorstellen, wie sie stank. Marianne würde sofort nach Wiesbaden zu ihrer Mutter fahren, Glabrecht sich für die Beerdigung zwei Tage frei nehmen.
Zwei Stunden später war er allein im Haus. Die Dienstbesprechung an diesem Vormittag hatte er per E-Mail an Frau Scholz abgesagt. Jetzt war Klaus also tot! Er versuchte, etwas zu empfinden bei diesem Gedanken, aber da war nichts anderes als seine eigene Todesangst, Adriana und der dumpfe Alkoholkater. Ohne eine Chance auf Ruhe lag er im Bett. Seine Füße wollten nicht damit aufhören, sich hin und her zu bewegen. Schließlich stöhnte er auf, griff sich das Telefon von der Kommode neben dem Bett, wählte Adrianas Nummernfolge, brach aber ab. Seine rechte Hand mit dem Telefon ruhte auf dem Federbett. Eine Viertelstunde verbrachte er damit, den Wählzwang zurückzuweisen, ähnlich wie ein Raucher, der seinen Konsum einschränken will und den Griff zur Zigarette unterdrückt. Am Ende verlor er selbstverständlich, wählte erneut ihre Nummer, aber Adriana meldete sich nicht. Es war acht Uhr am Montagmorgen. Wo war sie? Ganz plötzlich, von einer zur anderen Sekunde, stürzte er durch eine Falltür in seinem Gemüt hinunter in einen bösen Verdacht. Sie belog ihn, sie hatte ihn belogen, sie spielte mit ihm, die ganze Zeit hatte sie mit ihm gespielt! Die große Wohnung im teuren Oslo! Sie ließ sich ficken von Crawfield! Vielleicht hatte der sie beauftragt, den dreckigen dämlichen Glabrecht zu verführen, damit die Geschäfte klappen?
Eine Stunde später rief sie an. In aller Frühe war sie auf dem Holmenkollen gewesen, einen Waldlauf hatte sie gemacht. Glabrechts Erleichterung und seine schlimme Scham entluden sich in unkontrollierbaren, zittrig stammelnden Zuneigungsworten, noch ehe er ihr von Klaus erzählte.
Am nächsten Vormittag vereinbarte er endlich einen Termin für die Darmspiegelung – bei dem angeblich besten Gastroenterologen weit und breit. Der Arzt war äußerst gefragt, ein lokaler Promi, und galt als übler Frauenheld, worauf Glabrecht großen Wert legte, auch wenn man ihm auf Wochen hinaus keinen freien Termin anbieten konnte. Vor Jahren nämlich hatte ein Freund von seinen Erfahrungen in einer Gastroenterologen-Praxis in Hamburg erzählt. Er war überzeugt davon gewesen, während der Dormicum -Betäubung nicht nur darmgespiegelt, sondern auch vom Arzt und den beiden süß-tuntig aussehenden Assistenten missbraucht worden zu sein.
»Eilt nicht«, sagte Glabrecht zu dem Arzt, der klein und dürr war und eine Einstein-Frisur hatte.
An seinem Aussehen konnte der Erfolg bei Frauen also nicht liegen. Vielleicht erregte sie der Gedanke an seine darminvasiven Aktionen? Bei dieser Vorstellung grinste Glabrecht die MTA an, die seine Daten aufnahm, ihn ständig »Herr Senator« nannte und ihm einen riesigen Sack mit Abführsalz mitgab. Sie war äußerst attraktiv, aber ebenso spröde. Erst im September, kurz vor der Bürgerschaftswahl, würde man Glabrechts Darm spiegeln. Da würde dann die vermutlich schlimme Diagnose sehr gut zum befürchteten Ausgang der Wahl passen.
Glabrecht ging zu Fuß zum Rathaus. Unter einem strahlenden Frühsommerhimmel, der die sofortige Herstellung von glücklichen Lebensumständen befahl und zugleich bedrohlich psychedelisch auf Glabrecht wirkte, begann auf dem Bremer Marktplatz gerade das Beach-Volleyballturnier.
Hunderte Tonnen von Sand waren unter Verbrennung großer Mengen an fossiler Energie mit LKW herangekarrt worden, um so etwas wie einen künstlichen Strand zu produzieren. Tribünen wurden aufgebaut. Das
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