Die große Volksverarsche
für 9,90 Euro kaufen? Offensichtlich gar nichts, sonst müsste uns eigentlich klar werden, dass es bei der Herstellung nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Schon mal überlegt, was allein die Werbekampagnen von H&M kosten? Die Leuchttafeln an den Haltestellen? Die Ladenmieten in den besten Shopping-Lagen? Die Hochglanzkataloge? Die Materialien für so ein schickes Stretch-Teilchen? Was soll da bitte für die Frauen und Kinder übrig bleiben, die in den sogenannten
Sweatshops an den Nähmaschinen sitzen? Höchstens einstellige Cent-Beträge. Doch nicht nur Massenmarken wie H&M betreiben diese moderne Form der Sklaverei, sondern auch sündhaft teure Luxusmarken. Wenn es um Produktionskosten geht, ist plötzlich jeder Hauch von Stil, Klasse und Gewissen verflogen ... Aktuell macht der irische Textilhändler Primark seinen Rivalen auf dem deutschen Markt gewaltig Dampf; denn er hat inzwischen die Nase vorn. Jedenfalls bei dem gewinnträchtigen Balanceakt zwischen billig und modisch: Primark-Klamotten sind nicht peinlich, sondern cool. Insofern hat Primark das Discount-Konzept – möglichst günstige Beschaffung, überschaubares Sortiment (bei Primark z. B. nur die gängigsten Größen), geringe Personalkosten, extrem hoher Artikelumsatz – perfektioniert. Ethik inklusive. Das zumindest behauptet Primark-Chefin Breege O’Donoghue. Wenn man sich allerdings anschaut, wie bei den Textil-Discountern kalkuliert wird ...
Bruttopreis eines Herrenhemds beim Textil-Discounter: 5,99 Euro Nettoumsatz (ohne Mehrwertsteuer): 5,03 Euro;
davon:
Herstellung und Transport (40 Prozent): 2,01 Euro
Personal (Overhead + Laden-Personal, 18 Prozent): 0,90 Euro Marketing (7 Prozent): 0,35 Euro
Miete (15 Prozent): 0,75 Euro
Sonstiger betrieblicher Aufwand (5 Prozent): 0,25 Euro Ebitda-Marge 49 (15 Prozent): 0,75 Euro 50
... und berücksichtigt, dass Baumwollpreise und Frachtkosten in den letzten zwei Jahren gestiegen sind, dürften die Herstellungskosten die Schraube mit dem stärksten Gewinneffekt sein. Sprich: Primark kann noch so sehr betonen, fast gänzlich
auf teure Werbung zu verzichten, um diese Kampfpreise anbieten zu können – ob die indischen und vietnamesischen Näherinnen deshalb statt eines Mindestlohnes einen existenzsichernden Lohn bekommen, ist mehr als fraglich. Zumal die Abhängigkeit der Lieferanten von derart (volumen-)starken Auftraggebern wie Primark, Otto Group, Tengelmann (KiK) und Aldi enorm ist. Das wiederum steigert die Verlockung aufseiten des fernen Auftraggebers, mal ein soziales Auge zu- und damit den Einkaufspreis noch etwas zu drücken. Hinzu kommt, dass die aktuelle Konzentration auf möglichst wenige Lieferanten dazu führt, dass diese ihrerseits Sub- und Subsublieferanten einschalten, um die vorgegebenen Lieferzeiten und -mengen überhaupt einhalten zu können. Und aus alledem hält Primark sich vornehm zurück? Very ethisch oder nur very clever? Auch andere Textilhändler haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen (mehr oder weniger überzeugend), soziale Zeichen zu setzen. Mit freiwilliger Selbstverpflichtung zu Corporate Social Responsibility (CSR), Nachhaltigkeitsberichten, »grünen« Siegeln ... Denn Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind en vogue. Bei vielen Modefirmen allerdings nur als scheinheiliges Accessoire. Der Nachhaltigkeitsbegriff zum Beispiel wird so lange zurechtgeschnitten und -drapiert, bis die Industrie damit leben kann, ohne viel an ihrer Strategie ändern zu müssen – und Nachhaltigkeit ein inflationärer Wischiwaschibegriff zu werden droht. Insofern lassen auch die Nachhaltigkeitsberichte vieler Unternehmen der Textilbranche – obwohl ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung – zu wünschen übrig, was Transparenz und Informationsgehalt anbelangt. Das Positive kommt auf den Präsentierteller, weniger Erfreuliches unter den Teppich. Wenn sich KiK also damit brüstet, zwanzig Lieferanten in Bangladesch ein Training angedeihen zu lassen, lässt es
damit die übrigen schätzungsweise achtzig Lieferanten in Bangladesch einfach unter den Tisch fallen. Aber wen wundert’s? Nachhaltigkeitsberichte sind nun einmal freiwillig – und so bleibt es den Unternehmen überlassen, welche Zahlen und Fakten sie wie darstellen. Selbst wenn sie sich wie Otto, Puma und KiK (!) den strengsten Kriterien für Nachhaltigkeitsberichterstattung, den Kriterien nach der Global Reporting Initiative (GRI), unterwerfen, tun sie damit erst einmal nichts anderes, als sich einen
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