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Die große Volksverarsche

Die große Volksverarsche

Titel: Die große Volksverarsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Jaenicke
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statt Eier Jeans und T-Shirts gelegt werden. Rund vier Millionen Frauen arbeiten in der Textilproduktion von Bangladesch. Sechs oder sieben Tage die Woche, zwölf Stunden täglich plus Überstunden. Für weniger als einen Euro am Tag. Laut Global Basic Income Foundation (GBI) leben sie somit in extremster Armut und müssen von diesem Wenigen oft noch Eltern, Mann und Kinder mit versorgen, wenn sie spätabends nach Hause kommen. Um eine Familie in Bangladesch ernähren zu können, wäre der Asia-Floor-Wage-Berechnung zufolge mindestens das Dreifache nötig. Die Arbeiterinnen werden aber nicht nur materiell ausgebeutet, sondern auch sexuell belästigt, gedemütigt, missbraucht und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Dass die Näherinnen sogar in Lebensgefahr schweben, zeigen nicht zuletzt die hohen Opferzahlen bei den zahlreichen Fabrikbränden. Im Dezember 2012 zum Beispiel kamen 112 Menschen zu Tode, weil die für Walmart, Disney etc. arbeitende Fabrik keine Fluchtwege besaß. Feuerlöscher? Feuertreppen? Freie Notausgänge? Die gibt es nur in den Vorzeigefabriken, um allzu neugierige Kritiker
auszubremsen sowie Investoren und Auftraggebern ein ruhiges Gewissen zu verschaffen. Schließlich geht es der Regierung von Bangladesch darum, es sich nicht mit den internationalen Textilherstellern und -ketten zu verscherzen, sondern das Land als Industriestandort attraktiv zu halten. Dank seiner konstengünstigen Produktionsbedingungen hat Bangladesch es immerhin geschafft, sich nach China zum weltweit zweitgrößten Exporteur von Kleidung zu entwickeln. Doch die Textilindustrie ist leider auch die einzige Industrie im Land, die sich entwickelt hat, alle anderen liegen brach. Entsprechend buhlt Bangladeschs Regierung weiter um »foreign investment« in der Textilproduktion – und zwar mit ganz besonderen Anreizen: Außerhalb der großen Städte wurden eigens sogenannte Export Procession Zones (EPZ) eingerichtet, in denen das reguläre Recht ausgeschaltet wird: »Wenn ihr eure Hemden und Hosen hier nähen lasst, müsst ihr im ersten Jahr gar keine und im zweiten Jahr nur 50 Prozent der regulären Steuern zahlen.« Manche Unternehmen können aufgrund solcher EPZ-Sonderregelungen sogar fünf Jahre lang steuerfrei in Bangladesch produzieren lassen. Nicht minder verlockend ist folgendes Angebot: »In unserer Zone gibt es keine Gewerkschaft.« Höchstens ein sogenanntes Beschäftigtenkomitee, dessen Mitglieder nicht gewählt, sondern vom Management der Fabrik ernannt werden, oder eine Gewerkschaft, deren Vorsitzender gleichzeitig der Geschäftsführung einer Textilfabrik angehört ... Weder Steuern noch Widerstand: Das minimiert die Produktionskosten bei maximalem Output. Was will das Unternehmerherz mehr? Eigentlich nichts. Doch seit die internationale Textilbranche öffentlich ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist, spielen die Global Player immer öfter und immer professioneller auch auf der Sozialklaviatur ...
    KiK, Lidl, Aldi, Metro, H&M, ZARA, Mango, Adidas, C&A, Puma, Otto, Benetton, Esprit, Tommy Hilfiger, Wrangler etc.
sowie viele Luxusmarken haben sich bislang nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn es um Sozialstandards bei ihren asiatischen Zulieferern ging. Nicht selten wurde verhandelt und gemauschelt, was das Zeug hielt, um noch mehr an der Preisschraube zu drehen – und jede Verantwortung für die Zustände in den Textilfabriken von Bangladesch, Kambodscha oder Indonesien mit großer Geste von sich gewiesen. Gerne verkündet man auch im Brustton der Überzeugung, man bezahle schließlich immer den ortsüblichen Mindestlohn. Ein schlechter, ja, zynischer Witz. Denn von diesen rund 30 Euro monatlich kann kein Mensch leben. Auch nicht in Fernost ... Derweil gedieh das »So billig, so gut, so geil«-Prinzip bei uns Kunden hierzulande so prächtig, dass »Hauptsache billig« gewissermaßen zum Motto einer ganzen Konsumentengeneration wurde – völlig unabhängig vom Portemonnaie. Ein fataler Teufelskreis aus Marketing und Erwartung. »Vor 20 Jahren waren Textilien noch eine Domäne der Fachgeschäfte und Kaufhäuser«, sagt Andreas Bauer, Handelsexperte bei der Unternehmensberatung Roland Berger. »Heute wird das Geschäft – vom immer wichtiger werdenden Luxussegment abgesehen – ausschließlich vom Preis bestimmt. Wachstum gibt es lediglich im Niedrigpreissegment, ansonsten wird knallhart um Marktanteile gekämpft.« 48
    Was denken wir uns eigentlich, wenn wir bei H&M eine Jeans oder einen Bikini

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