Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
Vom Netzwerk:
kann. Jetzt sind wir über einem runden Waldstück. Wir haben ein viel zu hohes Tempo, die Wipfel der Bäume streifen schon meine Schuhsohlen, und ich sehe Wasser …
    Und dann stürzen wir.
    Wir stürzen vom Himmel und krachen auf den Boden.
    Es ist, als versuche man mit einem Fallschirm zu landen, der über einem zusammenfällt. Die Eingeweide hüpfen im ganzen Körper, weil man auf dem feuchten Boden aufschlägt, und man kann rein gar nichts sehen, gefangen unter einem großen Zelt, einem Riesenzelt aus öligen Federn und Klauen, das sich von selbst wieder losreißt und in den Himmel zurückflattert.
    Nach und nach fliegen die Tauben in die Bäume oder setzen sich auf die moosbewachsenen Hügel und die vielen umgestürzten Baumstümpfe. Mir tut alles weh. Sie haben mich an den Haaren gezogen, meine Kleider zerrissen, die Haut aufgeritzt – aber sie haben mich hierhergebracht. Ich wische mir die Federn aus dem Gesicht und den Sand aus den tränenden Augen, wickle mich aus meinem Schal und schaue mich um.
    Bevor ich nach Mentorium gekommen bin, habe ich unsere Stadt nie verlassen. Und seither habe ich Mentorium nie verlassen.
    So etwas wie hier habe ich jedenfalls noch nie gesehen.
    Nichts erinnert an zu Hause. Da ist ein großer Teich, eigentlich mehr ein See. Sonnenlichtstäubchen dringen durch das dichte Blattwerk und lassen das Wasser glitzern. Silbrig glänzende Bäume säumen das Ufer, die Stämme sind überwuchert von Farnen und hohen Gräsern. Solche Bäume kenne ich nicht. Alles sieht alt aus, richtig alt. Ich möchte das Wort zwar nicht aussprechen, aber hier ist ja niemand, der mich verspotten könnte, wenn ich es zu mir selbst sage: Es sieht wunderschön aus.
    Keine piepsenden Türen, keine lauten Rufe im Hof, kein stotternder Doktor. Ich höre, wie meine eigenen Gedanken von den Baumstämmen und der ruhigen Wasseroberfläche zurückgeworfen werden. Es sind nicht nur schöne Gedanken. Ich blicke zu den Tauben, die sich still in den Baumkronen ausruhen und ihre Köpfe zwischen die Flügel gesteckt haben.
    * Wo sind wir? Was machen wir hier? *
    Sie antworten nicht. Stattdessen steigt der General aus meiner Jackentasche und klettert mein Bein hinab.
    * Die erste Etappe unserer Mission ist erfolgreich beendet *, verkündet er. Während er pfeilschnell unter den nächstgelegenen Felsbrocken saust, fügt er zufrieden hinzu: * Mit Glanz und Gloria, wenn ich das sagen darf. Beim Großen Kakerlakenorden belohne ich mich dafür nun mit einem ausgedehnten Mittagsschläfchen .*
    Na schön, denke ich – mach, was du willst. Ich habe andere Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen muss.
    Zum einen stinke ich. Der Tunnel war voller Dreck. Auf meinem roten Anorak sind schmutzige Flecken, ich sehe aus wie ein Marienkäfer, meine Hosenbeine triefen, und mein Schal ist steif von verkrustetem Abwasserschlamm.
    Aber wenigstens scheint die Sonne. Ich blicke auf den See hinaus und frage mich, was wohl alles darin schwimmt. Ich muss an die Bilder auf unseren Monitoren denken, Bilder von toten Fischen, die im Wasser treiben und sich als verrottende Haufen an den Flussufern türmen. Ich will die Rote Pest nicht bekommen. Aber dies hier ist ja auch kein Fluss. Dies ist ein See, der versteckt zwischen Bäumen liegt, weitab von allem. Die Tiere sind vor Jahren verschwunden. Er ist inzwischen sicher nicht mehr ansteckend, Facto hin oder her.
    Rasch ziehe ich Jacke und Hose aus und wate das Ufer entlang. Mit meinem Kleiderbündel unter dem Arm stapfe ich durch die Pfützen und versuche dabei, nicht auszurutschen und auf keinen scharfen Stein zu treten.
    Das Wasser ist dunkel. Ich gehe schneller und atme tief, um mich gegen die Kälte zu wappnen.
    Je weiter ich in das Wasser hineingehe, desto dunkler und tiefer wird es.
    Meine nackten Füße sind in dem trüben Schlamm kaum zu sehen, und ich stelle mir vor, dass plötzlich in einer aufwallenden Flut von Blasen tote Fische an die Oberfläche treiben und mich mit ihren leblosen roten Augen anstarren. Als ich einen Blick über die Schulter werfe, sehe ich, dass mich die Tauben aufmerksam beobachten. Nie habe ich mich schneller gewaschen. Hastig schöpfe ich mir das Wasser über den Kopf, froh, dass nicht Dutzende kranker Fische darin sind, ehe ich meine Kleider kurz durchspüle und geräuschvoll wieder zum Ufer zurückplatsche.
    Die Vögel sind neugierig.
    * Warum diese Eile? *
    Ich werfe meine triefenden Kleider vor ihnen auf den Boden. * Ich dachte … ich dachte, es sind

Weitere Kostenlose Bücher