Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
Atemzügen. * Spring ans Ufer! Los! Ich kann nicht über diese Felsen hinwegklettern …*
Mit der einen Hand greife ich nach einer schroffen Felskante und mit der anderen Hand packe ich den jungen Wolf am Nacken. Mit einem Ruck reiße ich mich vom Hirsch los. Meine Beine treiben noch im Wasser und der triefende kleine Wolf zieht mich nach unten; er ist schwer und warm, sein Maul schnappt auf und zu, und er strampelt. Der General krabbelt über meinen Arm hinweg und hüpft hinauf ans Ufer.
* Na, das war doch gar nicht so schwer, oder?* , sagt er.
Der Hirsch treibt an uns vorbei entlang der dämmrigen Schatten des Flussufers, aber ich kann mich nicht nach ihm umdrehen.
Ich beiße auf die Unterlippe, so sehr bin ich damit beschäftigt, mich ans Ufer zu ziehen und den kleinen Wolf hinter mir herzuzerren. Sein Fell scheint die halbe Straße der Fische in sich aufgesogen zu haben, ich habe das Gefühl, als hätte ich einen Sack mit Steinen zu schleppen.
Als ich uns ins Gras gehievt habe, schüttelt er sich und bespritzt mich von Kopf bis Fuß mit Wasser, das nach Wolf riecht.
* Hilf mir nie wieder!*, knurrt er. * Ich brauche deine Hilfe nicht .*
*Dann hilf du mir. Komm, wir müssen sie retten!*
Wir laufen am Ufer entlang. Ein Stück weiter vorne steigt der Hirsch gerade zwischen hohen Binsen aus dem Wasser, sein Geweih zeichnet sich schwarz vor dem Abendhimmel ab.
Pollys Schreie werden immer leiser, je weiter sie sich von uns entfernt. Dafür wird das dumpfe Dröhnen immer lauter.
* Schnell! Immer der Straße der Fische nach!* , schreie ich.
Der Hirsch und Kleiner Wolf laufen los, und ich folge ihnen, so schnell ich kann.
Wir springen über kleine Pfützen und Bäche, und irgendwann muss ich anhalten, um Atem zu schöpfen. Auch die anderen bleiben stehen. Kleiner Wolf späht in das pechschwarze Wasser.
* Da!* , sagt er.
* Ich sehe nichts!*
* Du kannst sie wahrscheinlich nicht hören, aber ich schon. Ich habe das schärfste Gehör auf der ganzen Welt .*
Aus der Dunkelheit höre ich die Stimme des Hirschs.
* Sie sind da, aber sie bewegen sich immer schneller. Sehen kann ich sie nicht, aber ich rieche sie. Wir müssen uns auf jeden Fall beeilen .*
Das Dröhnen ist inzwischen sehr nahe, es braust in unseren Köpfen, sodass wir kaum etwas anderes hören, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen können. Wir laufen wieder los, aber wir kommen nicht weit, weil der Uferstreifen abrupt aufhört.
Wir sind nicht mehr am Flussufer, sondern am Rand von etwas viel Größerem. Das schwarze Wasser ist jetzt weiß, es brodelt und schäumt und kocht, ehe es in die Tiefe fällt, ins Nichts.
Wie eine Brücke, die niemand fertig gebaut hat, hört die Straße der Fische plötzlich auf – um dann in einem schillernden Nebelschleier ins Bodenlose zu stürzen.
* Ein Weißes Rauschen * , winselt Kleiner Wolf. * Sie schwimmen direkt auf ein Weißes Rauschen zu .*
Kapitel 24
Angestrengt suche ich das Wasser flussaufwärts ab, bis ich etwas Winziges, Weißes auf einer schwarzen Welle treiben sehe. Wir waren ein klein wenig schneller als sie. In wenigen Augenblicken werden sie hier sein, aber es sind wirklich nur Augenblicke.
»Kester, hilf mir!«, ruft Polly übers Wasser. Ich würde ihr gerne zurufen, dass sie aushalten und nicht den Mut verlieren soll. Ich wünsche es mir so sehr. Sie muss jetzt fest daran glauben, dass ich es in meinem Herzen sage, denn das tue ich wirklich.
Ich wate ins Wasser und der Hirsch und der junge Wolf waten hinter mir her. Schnell reicht es mir bis zur Taille. Ich spüre, wie der Grund unter uns steil abfällt.
Polly schreit laut, weil sie immer schneller auf die Abbruchkante zugetrieben werden.
»Hilf mir. Du musst uns helfen!«
Ich lege meine Hand auf die breite Brust des Hirschs und fühle das gleichmäßige Pochen seines Herzens. Der Wind pfeift zwischen uns hindurch.
* Wende dich an die Straße der Fische!* , brüllt er über das Donnern des Weißen Rauschens hinweg. * Bitte sie, dass sie dir hilft .*
*Ich verstehe nicht!* , rufe ich zurück.
* Gib nicht auf, Kester. Du hast eine Stimme. Bitte die Straße der Fische um Hilfe .*
Kleiner Wolf nimmt meine Hände in sein Maul und zieht sie unter Wasser.
* Was tust du da …*
Er blickt mich finster an.
* Frag sie! Du musst sie fragen! Wir können sie nicht bitten, bei der Rettung eines Menschen zu helfen. Aber du kannst es. Du hast die Stimme, die Stimme, die allen Kreaturen befehlen kann. Du musst nur fest daran glauben .*
Die
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