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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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prescht.
    Gedanken jagen durch meinen Kopf wie die Wolken über den Himmel. Ich habe diesen Tieren meine Hilfe angeboten. Ich habe es versprochen. Jetzt werden sie von bewaffneten Menschen bedroht und verfolgt, und zwar meinetwegen. Ich hätte sie nicht verlassen dürfen, ich hätte Sidney und Polly nicht mitbringen dürfen – aber jetzt ist es zu spät.
    Die Keuler klettern über die Hecke, an der Spitze Captain Skuldiss. Auf seinen Krücken ist er sogar schneller als die anderen, die im aufgewühlten Schlammboden hinter uns nur langsam vorankommen.
    »Aber bitte, wir haben keine Zeit zu verlieren«, brüllt Skuldiss seine Leute an. »Keinen Augenblick! Der Hirsch, das kleine Fuchs-Hund-Ding, die Miezekatze und die Vögelchen warten auf euch, also Bewegung! Danke schön!«
    Wir fliegen nur so über die Felder, der Hirsch springt über Wildhecken und eingesunkene Holzzäune. Auf seinen kleinen Pfoten hält Wolfsjunges mühelos Schritt. Meine Knöchel sind weiß vor Kälte und ich ziehe meinen Schal schützend vor mein Gesicht. Ich beobachte den General, der auf dem Geweih des Hirschs auf und ab trippelt wie der Kapitän auf einem vom Sturm gebeutelten Schiff und dabei Kommandos brüllt.
    * Schneller, schneller! Das ist ein Befehl! Lauf schneller, du bist doch nicht umsonst so groß! *
    Die Keuler sind uns noch auf der Spur, aber ihre schweren Gewehre und Fangnetze sind ein Hindernis, sie fallen immer weiter zurück, bis sie bloß noch schwarze Gestalten mit blitzenden Gummihauben in der Ferne sind. Nur Captain Skuldiss nicht.
    * Mach schon, Hirsch, schneller! Er hat uns fast eingeholt! *
    * Ich kann nicht schneller .*
    Ohne Vorwarnung wirft sich der Hirsch plötzlich zur Seite und taucht in die Dunkelheit der Bäume am Wegrand ein. Kleiner Wolf schlittert hinterher und kullert dem Hirsch vor die Füße, der gerade noch ausweichen kann. Aber im Unterholz kommen wir nicht mehr so schnell voran. Kaum hat der Wald uns verschluckt, drosselt der Hirsch das Tempo, denn er muss sich unter tief hängenden Ästen hinwegducken und über Wassergräben springen. Hier herrscht Stille, nur in der Ferne ist ein schwaches Donnern zu hören. Vor einer Bodenmulde voller Tannenzapfen legt der Hirsch eine Pause ein und holt Atem. Rings um uns ist nichts als dunkler Wald.
    Polly streckt sich und greift nach der borkigen Rinde eines Baums. Sie löst ein großes Stück ab. Es ist von gelben, zähen Wachskügelchen überzogen, die zu einem Klumpen verklebt sind wie eine geschmolzene Kerze. Ich starre Polly wütend an – wann begreift sie endlich, dass wir hier nicht auf einem Naturlehrpfad unterwegs sind?
    Sie beachtet mich nicht, sondern kratzt den Wachsklumpen von der Rinde ab und hält ihn mir vor die Nase. Er riecht nicht einmal besonders nach Natur, eher nach künstlichem Farblack.
    Polly nickt. »Ein besonderes Kiefernharz. Wer weiß, wofür wir es noch brauchen können.«
    Hinter uns ertönt eine Stimme, deren Echo von den Bäumen widerhallt. Hastig schiebt Polly das Harz in ihre Tasche.
    »Ach, Kinders!« Die Stimme klingt etwas atemlos, aber sie dringt laut und deutlich zu uns. »Ach, Kinders! Ich glaube, ihr habt da etwas falsch verstanden!«
    * Sei tapfer, Soldat! Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Stunde der Wahrheit ist gekommen *, flüstert der General mir ins Ohr.
    Skuldiss’ Krücken knirschen auf den Tannenzapfen.
    »Kinders! Mir scheint, ihr wollt Verstecken spielen!«
    Polly und ich halten den Atem an, und ich staune, wie lautlos sich der Hirsch bewegen kann, wenn er will. Kleiner Wolf schleicht neben uns her und dreht nur gelegentlich den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch der Krücken kommt.
    So leise wie möglich kämpfen wir uns durch das Dickicht. Polly ist vor Angst ganz starr. Ich taste nach ihrer Hand und drücke sie.
    Wir werden Captain Skuldiss entkommen.
    Und tatsächlich. Wir lassen den Wald hinter uns, überqueren eine Lichtung und erreichen …
    Einen Fluss.
    Ein Fluss, dessen gegenüberliegendes Ufer in unerreichbarer Ferne liegt. Unendlich breit, weiß über kantiges Gestein schäumend, strömt das Wasser reißend an den Uferbänken entlang, zu tief, um ihn zu überqueren. Das Wasser donnert und kracht so laut, dass es in unseren Köpfen dröhnt.
    Ein unüberwindlicher Fluss – und sonst nichts.

Kapitel 23
    »Okay, Kidnapper«, sagt Polly und blickt auf das trübe braune Wasser, das an uns vorbeirauscht. »Wohin jetzt?«
    Der Hirsch schnüffelt, als würde er etwas Schlechtes riechen, dann

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