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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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Dieses Recherchewerkzeug, das unseigentlich doch eine Hilfe sein sollte, indem es uns alles nur Mögliche zur Verfügung stellt, das Wahre und das weniger Wahre, stürzt uns in Wirklichkeit in eine große Verwirrung. Ich stelle mir vor, dass Websites über Umberto Eco gespickt sind mit falschen Informationen oder zumindest Ungenauigkeiten. Werden wir demnächst einen Kontrollassistenten brauchen? Entsteht da ein neuer Beruf?
     
    U. E.: Das wäre aber kein leichter Job. Sie und ich, wir können uns erlauben, die uns betreffenden Dinge selber zu kontrollieren. Aber wer soll die Kontrolle für all das übernehmen, was, sagen wir, Clemenceau oder Voltaire betrifft? Und wer soll das bezahlen? Der französische Staat bestimmt nicht, denn dann müsste er ja für alle bedeutenden Gestalten der französischen Geschichte Internetkontrolleure anstellen.
     
    J.-C. C.: Ich glaube trotzdem, dass wir auf die eine oder andere Weise zunehmenden Bedarf an solchen Kontrolleuren haben werden, der Beruf ist im Kommen.
     
    U. E.: Aber wer kontrolliert die Kontrolleure? Früher waren die Kontrolleure die Mitglieder der großen Wissensinstitutionen, der Akademien oder Universitäten. Wenn Herr X vom Institut Y ein Werk über Clemenceau oder Platon veröffentlichte, durfte man annehmen, dass die Auskünfte, die er uns gab, verlässlich waren, da er sein ganzes Leben in Bibliotheken verbracht hatte, um alle seine Quellen zu überprüfen. Heute aber besteht die Gefahr, dass Herr X seine Informationen auch nur aus dem Internet bezieht, und dann muss alles mit großer Vorsicht behandelt werden.
    Aber um ehrlich zu sein, konnte das auch vor dem Internetschon passieren. Weder das individuelle noch das kollektive Gedächtnis bietet ein fotografisch getreues Abbild der Wirklichkeit. Sie sind Rekonstruktionen.
     
    J.-C. C.: Sie wissen so gut wie ich, in welchem Maße der Nationalismus dazu beigetragen hat, unsere Sicht auf bestimmte Ereignisse zu verzerren. Unwillkürlich unterliegen Historiker oft auch heute noch der erklärten oder unterschwelligen nationalen Ideologie ihres Landes. Gegenwärtig erzählen chinesische Historiker alles Mögliche über die uralten Verbindungen zwischen China und Tibet oder der Mongolei, und das wird dann in den chinesischen Schulen unterrichtet. Zu seiner Zeit hatte Atatürk die gesamte Geschichte der Türkei umschreiben lassen. Seiner Version zufolge waren Türken schon zur Zeit der Römer in der Türkei ansässig, Jahrhunderte vor ihrer tatsächlichen Ankunft dort. Und so weiter, überall. Wenn wir das überprüfen wollen, wie und wo können wir das tun? Die Türken sind, soweit wir wissen, in Wirklichkeit aus Zentralasien gekommen, und die ersten Bewohner der heutigen Türkei haben keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Wie soll man da vorgehen?
     
    U. E.: In der Geographie stellt sich dasselbe Problem. Es ist noch gar nicht so lange her, dass man die wirklichen Ausmaße Afrikas kennengelernt hat, imperialistische Ideologien haben es lange Zeit kleiner gemacht.
     
    J.-C. C.: Unlängst war ich in Bulgarien, in Sofia. Ich steige im Hotel Arena Serdica ab, das ich nicht kenne. Beim Eintritt stelle ich fest, dass das Hotel über Ruinen erbaut ist, die durch eine große Glasscheibe zu sehen sind. Ich frage das Personal. Sie erklären mir, dass an dieser Stelle ein römischesKolosseum gestanden hat. Erstaunen. Ich wusste nicht, dass die Römer in Sofia ein Kolosseum gebaut hatten, das seinem Umfang nach, wie jemand hinzufügt, nur zehn Meter kleiner war als das in Rom. Also riesig. Und an seinen Außenwänden haben die Archäologen Skulpturen gefunden, die als eine Art Plakat für die Vorstellungen, die dort stattfanden, fungierten. Da sieht man Tänzerinnen, natürlich Gladiatoren, und dann etwas, was ich noch nie zuvor gesehen hatte: einen Kampf zwischen einem Löwen und einem Krokodil. In Sofia!
    Mit einem Mal war meine geschichtliche Vorstellung von Bulgarien völlig über den Haufen geworfen; schon die Entdeckung des Thrakischen Goldes einige Jahre zuvor hatte dem Land ja eine unvermutete historische Tiefendimension verliehen, es war älter als Griechenland. Warum aber eine Arena von diesen Ausmaßen in Sofia? Weil es dort, wie ich erfuhr, Thermalquellen gab, die die Römer sehr schätzten. Und da fiel mir wieder ein, dass Sofia nicht weit von dem Ort ist, wo der arme Ovid seine Zeit im Exil verbrachte. So wurde Bulgarien, dessen Zugehörigkeit zum slawischen Kontext mir bis dahin immer unbestreitbar

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