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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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von den Kirchenvätern sagen, wenn sie über Häretiker sprechen.
     
    U. E.: Das ist ein bisschen so, als ob wir die Philosophie des 20. Jahrhunderts nur durch die Enzykliken Ratzingers kennen würden.
     
    J.-C. C.: Die Gestalt des Simon Magus hat mich immer fasziniert. Ich habe ihm einst ein Buch gewidmet. Er war ein Zeitgenosse Christi, aber man kennt ihn nur aus der Apostelgeschichte ,das heißt durch jene, die ihn zum Häretiker erklärten und ihn dessen anklagten, was »Simonie« genannt wird, mit anderen Worten, er soll angeblich die Absicht gehabt haben, Petrus die magischen Kräfte Jesu für Geld abzukaufen. Das ist mehr oder weniger alles, was wir über ihn wissen. Aber wer war er in Wirklichkeit? Jünger folgten ihm nach, und es hieß von ihm, er wirke Wunder. Er kann nicht der lächerliche Scharlatan gewesen sein, als den seine Feinde ihn uns präsentieren.
     
    U. E.: Von den Bogomilen und den Paulinern wissen wir durch ihre Feinde, dass sie Kinder fraßen. Aber dasselbe behauptete man auch von den Juden. Die Feinde von wem auch immer waren stets Kinderfresser.
     
    J.-C. C.: Einen Großteil unseres Wissens über die Vergangenheit, der meist durch Bücher auf uns gekommen ist, verdanken wir also Idioten, Dummköpfen oder fanatischen Gegnern. Das ist ein wenig, als blieben uns, um die Spuren einer verschwundenen Vergangenheit zu rekonstruieren, nur die Werke dieser Narren der Literatur, dieser unglaubwürdigen Genies, mit deren Schicksal André Blavier sich ausführlich befasst hat.
     
    U. E.: Eine der Figuren in meinem Foucaultschen Pendel fragt sich, ob man ähnliche Zweifel nicht auch gegenüber den Evangelisten hegen kann. Vielleicht hat Jesus etwas ganz anderes gesagt, als sie uns berichtet haben.
     
    J.-C. C.: Es ist sogar wahrscheinlich, dass er etwas anderes gesagt hat. Wir vergessen oft, dass die ältesten christlichen Texte, die wir besitzen, die Paulusbriefe sind. Die Evangelienkommen später. Nun ist aber der heilige Paulus, der wahre Erfinder des Christentums, eine komplexe Persönlichkeit. Er hatte, so nimmt man an, mit Jakob, dem Bruder Jesu, einige heftige Auseinandersetzungen über die Beschneidung, die damals ein fundamentales Thema war. Denn Jesus ging zu seinen Lebzeiten weiterhin in den Tempel, ebenso Jakob nach dem Tod des Bruders. Sie blieben Juden. Es war Paulus, der das Christentum vom Judentum abgelöst hat und sich an die »Heiden« wandte, das heißt an die Nicht-Juden. Er ist der eigentliche Gründervater.
     
    U. E.: Da er von überlegener Intelligenz war, begriff er natürlich, dass man das Christentum den Römern verkaufen musste, um dem Wort Jesu breite Wirkung zu verschaffen. Aus diesem Grund ist in der Tradition, die sich von Paulus herleitet, also in den Evangelien, Pilatus sicherlich feige, aber nicht wirklich schuldig. Die eigentlich Schuldigen am Tod Jesu waren die Juden.
     
    J.-C. C.: Und Paulus hatte zweifellos verstanden, dass es ihm nicht gelingen würde, den Juden Jesus als neuen Gott zu verkaufen, als einzigen Gott, weil das Judentum damals eine noch junge Religion war, vital, sogar expansiv und mit vielen Proselyten, während die griechisch-römische Religion im Niedergang begriffen war. Das gilt natürlich nicht für die römische Kultur an sich, die sich die antike Welt systematisch aneignete, sie assimilierte und den Völkern jene pax romana auferlegte, die Jahrhunderte währen sollte. Das Amerika Bushs mit seinen Eroberungstendenzen ist zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, der Welt, ausgehend von einer klar umrissenen und für alle gültigen Zivilisation, einen Frieden dieser Art zu bringen.
     
    U. E.: Wenn von nachweislich Verrückten die Rede ist, so muss man die amerikanischen Fernsehpfarrer erwähnen. Ein kurzer Blick in die amerikanischen Fernsehprogramme am Sonntagmorgen genügt, um eine Vorstellung von Ausmaß und Schwere des Problems zu bekommen. Was Sacha Baron Cohen in dem Film Borat schildert, ist eindeutig nicht die Frucht seiner Phantasie. Ich erinnere mich, dass man in den sechziger Jahren, wenn man an der Oral Roberts University in Oklahoma (Oral Roberts war einer dieser sonntäglichen Fernsehpfarrer) unterrichten wollte, Fragen beantworten musste wie: » Do you speak in tongues ?« (»Sprechen Sie in Zungen?«), womit die Fähigkeit gemeint ist, in einer Sprache zu sprechen, die keiner kennt, aber alle Welt versteht, ein Phänomen, das in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Ein Kollege wurde angenommen, weil er geantwortet

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