Die große Zukunft des Buches
mehr auf dem Markt, wir sagten es bereits, sie sind mittlerweile alle in den großen Bibliotheken. Zwei habe ich in der Pierpont Morgan Library in New York gesehen, eine von beiden übrigens unvollständig. In der Vatikanischen Bibliothek durfte ich eine berühren, auf Velin gedruckt mit farbigen Kolumnen (das heißt, alle Initialen von Hand koloriert). Wenn der Vatikan nicht Italien ist, dann gibt es in ganz Italien keine einzige Gutenberg-Bibel. Das weltweit letzte bekannte Exemplar wurde vor zwanzig Jahren an eine japanische Bank verkauft für, wenn ich mich recht entsinne, drei oder vier Millionen Dollar von damals. Sollte jemals eine auf dem Markt der Bibliophilie auftauchen, vermag kein Mensch zu sagen, zu welchem Preis sie heute angeboten würde. Jeder Sammler träumt davon, irgendwo eine alte Dame zu finden, die bei sich im Schrank eine Gutenberg-Bibel hat. Die Dame ist fünfundneunzig Jahre alt und krank. Der Sammler bietet ihr für das alte Buch 200000 Euro. Für sie ist das ein Vermögen, das ihr erlauben würde, ihr Leben angenehm zu beschließen. Aber sogleich stellt sich eine Frage: Wenn Sie diese Bibel zu sich nach Hause bringen, was machen Sie dann damit? Entweder Sie erzählen niemand etwas davon, und das wäre so, wie wenn man sich einen komischen Film ganz allein ansieht. Da lachen Sie nicht. Oder Sie erzählen davon und mobilisieren damit augenblicklich alle Diebe der Welt. In Ihrer Verzweiflung schenken Sie sie dem BürgermeisteramtIhrer Stadt. Sie wird an einem sicheren Ort ausgestellt, und Sie haben Gelegenheit, mit Ihren Freunden hinzugehen und sie so oft anzuschauen, wie Sie wollen. Aber Sie können nicht mehr mitten in der Nacht aufstehen und sie anfassen, sie streicheln. Also, welchen Unterschied macht es dann, eine Gutenberg-Bibel zu haben oder nicht?
J.-C. C.: Ja wirklich, welchen Unterschied macht das? Manchmal habe ich einen Traum, oder eher ist das eine Träumerei. Ich bin ein Dieb, ich dringe in ein Privathaus ein, wo eine großartige Sammlung mit alten Büchern schlummert, ich habe einen Sack mitgebracht, in dem ich zehn Bücher unterbringen kann. Dazu noch, sagen wir, zwei oder drei in den Taschen. Ich muss also wählen. Ich öffne die Bücherschränke. Ich habe zehn oder zwölf Minuten, um meine Wahl zu treffen, weil durch die Alarmanlage die Polizei verständigt wurde … Diese Situation mag ich sehr. In den abgeschlossenen, geschützten Raum eines Sammlers einzudringen, den ich mir reich vorstelle, paradoxerweise ungebildet und notwendigerweise unsympathisch. So unsympathisch, dass er bei Gelegenheit ein Exemplar eines sehr seltenen Werkes zerschneidet, um es Blatt für Blatt zu verkaufen. Ich habe einen Freund, der auf diesem Wege in den Besitz einer Seite einer Gutenberg-Bibel gekommen ist.
U. E.: Wenn ich einige meiner Bücher mit Stichen darin zerschneiden und verunstalten würde, könnte ich das Hundertfache von dem bekommen, was ich dafür bezahlt habe.
J.-C. C.: Leute, die Bücher auf diese Weise zerschneiden, um die Stiche daraus zu verkaufen, nennt man »Fledderer«. Sie sind die erklärten Feinde der Buchliebhaber.
U. E.: Ich habe in New York einen Buchhändler kennengelernt, der alte Werke nur auf diese Weise verkaufte. »Ich betreibe demokratischen Vandalismus«, sagte er zu mir. »Ich kaufe unvollständige Exemplare und zerstückele sie. Sie könnten niemals eine Nürnberger Chronik bekommen, nicht wahr? Nun, ich verkaufe Ihnen eine Seite davon für 10 Dollar.« Aber stimmte es wirklich, dass er nur unvollständige Exemplare zerschnitt? Wir werden es niemals erfahren, und im Übrigen ist er auch schon tot. Eine Art von Pakt wurde zwischen Sammlern und Buchhändlern vorgeschlagen: Die Sammler verpflichten sich, keine Einzelseiten zu kaufen, und die Buchhändler verzichten darauf, solche zu verkaufen. Aber es gibt Tafeln, die seit hundert oder zweihundert Jahren von ihrem Buch getrennt sind (das mittlerweile verschwunden ist). Wie soll man der Versuchung eines schön gerahmten Stiches widerstehen? Ich habe eine kolorierte Karte von Coronelli, herrlich. Woher sie stammt? Ich weiß es nicht.
Unser Wissen über die Vergangenheit
verdanken wir Idioten, Dummköpfen oder Gegnern
J.-P. DE T.: Führen Sie mithilfe der Bücher, die Sie sammeln, gewissermaßen einen Dialog mit der Vergangenheit? Sind alte Bücher für Sie Zeugen der Vergangenheit?
U. E.: Ich habe schon gesagt, dass ich nur Bücher sammle, die etwas mit irrigen und falschen Dingen zu
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