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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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hatte: » Not yet .« (»Noch nicht.«)
     
    J.-C. C.: In der Tat habe ich in den USA an mehreren Messen teilgenommen, mit Handauflegung, scheinbaren Wunderheilungen, künstlichen Ekstasen. Das ist ziemlich abschreckend. Augenblicksweise kam ich mir vor wie im Irrenhaus. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass man sich wegen dieser Phänomene allzu sehr beunruhigen sollte. Ich sage mir immer, Fundamentalismus, Integralismus, religiöser Fanatismus wären schlimm, ja sogar sehr schlimm, wenn Gott existieren, wenn er plötzlich die Partei dieser eifernden Frömmler ergreifen würde. Aber bis heute kann man nicht behaupten, er habe sich für die einen oder die anderen engagiert. Mir scheint, das sind Bewegungen, die kommen und gehen, insofern als sie zwangsläufig jedes übernatürlichen Halts entbehren und von Anfang an mit Nichtigkeit geschlagen sind. Eine Gefahr könnte vielleicht sein, dass die amerikanischenNeo-Kreationisten schließlich erreichen, dass die in der Bibel enthaltenen »Wahrheiten« als wissenschaftliche Wahrheiten unterrichtet werden, und zwar in den Schulen, das wäre entschieden ein Rückschritt. Sie sind nicht die einzigen, die ihre Sichtweisen auf diesem Wege aufzwingen wollen. Vor mindestens fünfzehn Jahren besuchte ich in der Rue de Rosiers in Paris eine Rabbinerschule, wo die »Professoren« lehrten, dass die Welt vor etwas mehr als sechstausend Jahren von Gott erschaffen worden sei und dass die prähistorischen Funde vom Satan in den verschiedenen Gesteinsschichten ausgelegt worden seien, um uns zu täuschen.
    Ich nehme an, die Dinge haben sich kaum verändert. Wir könnten diese »Lehren« derjenigen des Paulus annähern, der die griechische Wissenschaft verbannte. Glaube ist immer stärker als Erkenntnis. Wir können darüber staunen und es bedauern, aber so ist es. Es wäre hingegen übertrieben zu sagen, diese Lehren würden den Lauf der Dinge verändern. Nein, die Dinge bleiben, was sie sind. Man sollte auch daran erinnern, dass Voltaire Jesuitenschüler war.
     
    U. E.: Alle großen Atheisten sind aus einem geistlichen Seminar hervorgegangen.
     
    J.-C. C.: Und das griechische Wissen, selbst wenn man versucht hat, es zum Schweigen zu bringen, am Ende hat es doch triumphiert. Selbst wenn der Weg dieser Wahrheit gepflastert war mit Hindernissen, Scheiterhaufen, Kerkern und manchmal Vernichtungslagern.
     
    U. E.: Das Wiederaufleben des Religiösen ist nicht an Zeiten des Obskurantismus gebunden, im Gegenteil. In hypertechnologischen Epochen wie der unseren blüht und gedeiht es,es fällt zusammen mit dem Ende der großen Ideologien, mit Zeiten einer extremen Lockerung der Moral. Da brauchen wir etwas, woran wir glauben können. Eben zu der Zeit, als das Römische Reich seine größte Macht entfaltete, als die Senatoren sich mit Prostituierten zur Schau stellten und Lippenstift auftrugen, stiegen die Christen in die Katakomben hinab. Das sind eher normale Ausgleichsbewegungen.
    Dieses Bedürfnis zu glauben kann sich auf verschiedene Weise äußern, im Interesse an den Wissensformen des Tarot oder in der Identifikation mit dem Geist des New Age. Nehmen wir das Wiederaufleben der Polemik gegen den Darwinismus, und zwar nicht nur auf Seiten protestantischer Fundamentalisten, sondern auch auf Seiten rechtskonservativer Katholiken (das geschieht gerade in Italien). Lange Zeit machte sich die katholische Kirche um die Evolutionstheorie keine Sorgen: Man wusste ja seit den Kirchenvätern, dass die Bibel in Metaphern spricht und dass daher die sechs Schöpfungstage ohne weiteres den Erdzeitaltern entsprechen konnten. Im Übrigen ist die Genesis sehr darwinistisch. Der Mensch erscheint erst nach allen anderen Tieren, und er ist aus Lehm gemacht. Er ist also zugleich ein Produkt der Erde und die Krone der Schöpfung.
    Das einzige, worauf ein gläubiger Christ bestehen würde, das ist die Annahme, dass diese Evolution nicht zufällig, sondern Ergebnis eines »intelligenten Plans« ist. Die gegenwärtige Polemik betrifft indessen nicht die Frage des Plans, sondern des Darwinismus insgesamt. Wir können da also eine Regression beobachten. Wieder einmal suchen wir unsere Zuflucht vor den Bedrohungen der Technik in der Mythologie. Und so kann dieses Syndrom durchaus auch in Form der kollektiven Verehrung einer Persönlichkeit wie Pater Pio auftreten!
     
    J.-C. C.: Trotzdem eine Richtigstellung. Es könnte der Eindruck entstehen, als wollten wir hier den Glauben als den Vater aller Verbrechen darstellen.

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