Die große Zukunft des Buches
etlicher Sprachen verloren?Wenn in fünftausend Jahren die Menschen verschwinden und Besucher aus dem All bei uns landen, wie soll man ihnen erklären, dass sie das fragliche Gelände nicht betreten sollen? Diese Experten haben einen Linguisten und Anthropologen, Tom Sebeok, damit beauftragt, eine Form der Kommunikation zu ersinnen, um dieses Problem zu beheben. Nachdem er sämtliche möglichen Lösungen geprüft hatte, gelangte Sebeok zu dem Schluss, dass es keine Sprache gibt, auch keine Bildsprache, die außerhalb des Kontextes, dem sie entstammt, verstanden werden kann. Wir haben keine sicheren Deutungen für die Figuren der prähistorischen Höhlenmalerei. Selbst die ideographische Sprache ist nicht wirklich erforscht. Die einzige Möglichkeit war Sebeoks Meinung nach die Bildung religiöser Bruderschaften, die im Schoße ihrer Gemeinschaft ein Tabu, wie »Das und das nicht berühren« oder »Das und das nicht essen«, errichten und bewahren. Ein Tabu kann Generationen überdauern. Ich hatte eine andere Idee, aber ich wurde nicht von der NASA bezahlt, also habe ich sie für mich behalten. Es handelte sich darum, diesen radioaktiven Müll so zu vergraben, dass er in der obersten Schicht sehr wenig konzentriert, also wenig radioaktiv ist, in der zweiten etwas mehr und so weiter. Wenn unser Besucher aus Versehen mit der Hand oder mit dem, was ihm als Hand diente, in diese Abfälle hineinlangte, würde er nur ein Fingerglied verlieren. Wenn er weitergrub, würde er wahrscheinlich einen Finger verlieren. Aber wir können sicher sein, dass er nicht weitergemacht hätte.
J.-C. C.: Als die ersten assyrischen Bibliotheken entdeckt wurden, wusste man noch nichts von der Keilschrift. Immer diese Frage des Verlusts. Was retten? Was überliefern undwie? Wie kann ich sicher sein, dass die Sprache, die ich heute verwende, morgen und übermorgen verstanden wird? Kultur ist nicht denkbar, wenn sie sich diese Frage nicht stellt. Sie erwähnten die Situation, in der alle linguistischen Codes verschwunden und die Sprachen stumm und dunkel sind. Wir können uns aber auch das Gegenteil vorstellen. Wenn ich heute an einer Hauswand ein Graffito anbringe, das überhaupt keinen Sinn hat, wird sich morgen jemand finden, der behauptet, er habe es entschlüsselt. Ein Jahr lang habe ich mich damit vergnügt, Schriften zu erfinden. Ich bin sicher, jemand anderer könnte morgen einen Sinn darin entdecken.
U. E.: Natürlich, denn nichts bringt so viele Interpretationen hervor wie der Unsinn.
J.-C. C.: Oder Interpretationen, die Unsinn produzieren. Hier liegt der Beitrag der Surrealisten, die sich bemühten, Worte einander anzunähern, zwischen denen keine Verwandtschaft oder Beziehung besteht, um einen verborgenen Sinn zum Vorschein zu bringen.
U. E.: Dasselbe findet man in der Philosophie. Die Philosophie von Bertrand Russell hat nicht so viele Interpretationen hervorgebracht wie die Heideggers. Warum? Weil Russell besonders klar und verständlich ist, während Heidegger unklar ist. Ich sage nicht, dass der eine recht und der andere unrecht hat. Ich für mein Teil hüte mich vor beiden. Doch wenn Russell eine Dummheit sagt, dann sagt er sie klar und deutlich, während wir, selbst wenn Heidegger eine Trivialität sagt, Schwierigkeiten haben, es zu bemerken. Um in die Geschichte einzugehen, muss man also unklar sein. Schon Heraklit wusste das …
Eine kleine Bemerkung am Rande: Wissen Sie, warum die Vorsokratiker nur Fragmente geschrieben haben?
J.-C. C.: Nein.
U. E.: Weil sie inmitten von Ruinen lebten. Aber Spaß beiseite. Häufig haben sich Spuren dieser Fragmente nur in den Kommentaren erhalten, die sie angeregt haben, manchmal Jahrhunderte später. Den größten Teil dessen, was wir über die Philosophie der Stoiker wissen, die wahrscheinlich ein intellektuelles Gebilde war, dessen Bedeutung wir noch kaum ermessen, verdanken wir Sextus Empiricus, der schrieb, um ihre Ideen zu widerlegen. Ebenso kennen wir mehrere vorsokratische Fragmente durch die Schriften des Aetius, der ein vollendeter Schwachkopf war. Man braucht seine Zeugnisse nur zu lesen, um das zu bemerken. Wir dürfen also bezweifeln, dass das, was er uns überliefert hat, dem Geist der vorsokratischen Philosophen völlig gerecht wird. Man müsste noch den Fall der Gallier aus der Feder Caesars anführen und den der Germanen aus der des Tacitus. Über diese Völker wissen wir etwas durch das Zeugnis ihrer Feinde.
J.-C. C.: Dasselbe ließe sich
Weitere Kostenlose Bücher