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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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haben dann im Drehbuch ganz einfach eine militante Gruppe mit dem Namen »Revolutionäre Aktionsgruppe zum Jesuskind« hinzugefügt.
     
    U. E.: Um noch einmal auf die Zensur durch Subtraktion zurückzukommen, eine Diktatur, die alle Zugänge zu den Quellen des Wissens übers Internet sperren will, könnte sehr gut einen Virus verbreiten lassen, der auf jedem Rechner sämtliche persönlichen Dateien löscht, und so einen gigantischen Informationsblackout auslösen. Vielleicht aber besteht die Möglichkeit, alles zu zerstören, ja gar nicht, da wir gewisse Informationen auf unseren USB-Sticks speichern. Aber trotzdem. Vielleicht könnte es dieser Cyber-Diktatur gelingen, bis zu achtzig Prozent unserer persönlichen Daten zu löschen?
     
    J.-C. C.: Vielleicht ist es gar nicht nötig, alles zu löschen. So wie ich in meiner Datei mit dem Befehl »Suchen« ein bestimmtes Wort aufrufen und mit einem Mausklick aus allen Dateien löschen kann, warum soll man sich da nicht auch eine elektronische Zensur vorstellen können, der es gelänge, nur ein Wort oder eine bestimmte Wortfolge verschwinden zu lassen, dies aber auf sämtlichen Rechnern des Planeten? Welche Worte würden unsere elektronischen Diktatoren dann wohl auswählen? Auf eine Gegenoffensive der Nutzer muss man natürlich wie immer gefasst sein. Es ist das alte Spiel von Angriff und Verteidigung, auf einem anderen Gebiet. Und wir können uns auch ein neues Babel vorstellen, das plötzliche Verschwinden von Sprachen, Codes und sämtlichen Verschlüsselungen. Welches Chaos!
     
    J.-P. DE T.: Das Paradoxe ist, wie Sie erwähnten, dass der Mensch oder das Werk, das man zum Stillschweigen verdammt, diese Stille selbst zu einer Art Resonanzraum machen und so schließlich doch seinen Platz in unserem Gedächtnis einnehmen kann. Würden Sie noch einmal auf diese Umkehr der Dinge zu sprechen kommen?
     
    U. E.: Hier muss man von der damnatio memoriae in einem anderen Sinn sprechen. Aus vielfältigen und komplexen Gründen – Filterung, Unfälle, Brände – gelangt ein Werk nicht zu uns. Niemand ist im eigentlichen Sinne verantwortlich für sein Verschwinden. Aber es fehlt. Und weil das Werk von sehr vielen Zeugen kommentiert und begrüßt wurde, macht es sich eben durch seine Abwesenheit bemerkbar. Das ist der Fall bei den Werken des Xeusis in der Antike. Außer den Zeitgenossen des Künstlers hat niemand seine Werke gesehen, und trotzdem sprechen wir noch heute von ihnen.
     
    J.-C. C.: Als Tutenchamun dem Echnaton nachfolgte, wurde an sämtlichen Tempeln der Name des verstorbenen Pharaos weggemeißelt, und er wurde zum Häretiker erklärt. Echnaton ist nicht der einzige, der eine solche Auslöschung erlitten hat. Inschriften verwittern, Statuen stürzen ein. Ich denke an dieses herrliche Foto von Koudelka: Eine Leninstatue fährt liegend wie ein riesiger Leichnam auf einem Frachtkahn die Donau hinunter zum Schwarzen Meer, wo sie verschwinden wird.
    Zu den zerstörten Buddhastatuen in Afghanistan muss man noch etwas bemerken. In den ersten Jahrhunderten unmittelbar nach dem Auftreten des Buddha wurde er nicht dargestellt. Er wurde gezeigt durch Abwesenheit. Fußspuren. Ein leerer Sessel. Ein Baum, in dessen Schatten er meditiert hatte. Ein Pferd mit Sattel, aber ohne Reiter.
    Erst seit der Eroberung durch Alexander den Großen begann man in Zentralasien unter dem Einfluss griechischer Künstler, dem Buddha physische Gestalt zu verleihen. In diesem Sinn haben die Taliban, ohne es zu wissen, die Rückkehr zu den wahren Ursprüngen des Buddhismus befördert. Für überzeugte Buddhisten sind die leeren Nischen im Tal Bamiyan heute vielleicht beredter, erfüllter als vorher.
    Diese Terroranschläge, auf die sich die arabisch-moslemische Kultur heute gelegentlich zu reduzieren scheint, könnten fast die Größe verdecken, die ihr einst eigen war. Ebenso wie die Blutopfer der Azteken über Jahrhunderte hinweg alle Schönheit dieser Kultur überschattet haben. Die Spanier haben das enorm aufgebauscht, so dass, als sie die letzten Reste der besiegten Kultur zum Verschwinden bringen wollten, die Menschenopfer das einzige waren, was im kollektiven Gedächtnis haften blieb. Der Islam ist heute von derselben Gefahr bedroht: morgen, in der Erinnerung aus naherZukunft, allein auf diese terroristischen Gewaltakte reduziert zu werden. Denn unsere Erinnerung wie unser Gehirn verfahren reduktiv. Wir gehen unentwegt nach Selektion und Reduktion vor.

Zensur durch Feuer
    J.-P. DE T.: Unter

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