Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
Vom Netzwerk:
nichtzerstören sollte, etwas, was wesentlicher Bestandteil dessen ist, was wir heute unser Erbe nennen.
     
    U. E.: Die Jesuiten, die nach China gingen, waren gebildete Männer. Cortéz und vor allem Pizarro waren Schlächter, angetrieben nur von einem Projekt der Kulturvernichtung. Die Franziskaner, die sie begleiteten, betrachteten die Eingeborenen als wilde Tiere.
     
    J.-C. C.: Nicht alle, glücklicherweise. Sahagún nicht, und auch nicht Las Casas oder Durán. Alles, was wir über die Indios vor der Eroberung wissen, verdanken wir ihnen. Und sie haben oft beträchtliche Risiken auf sich genommen.
     
    U. E.: Sahagún war Franziskaner, aber Las Casas und Durán waren Dominikaner. Es ist seltsam, wie falsch Klischees sein können. Die Dominikaner waren Männer der Inquisition, während die Franziskaner als Meister der Sanftmut galten. In Südamerika hingegen verkehrten sich die Rollen gelegentlich, und wie im Western übernahmen die Franziskaner die Rolle der bad guys , die Dominikaner dagegen die der good guys .
     
    J.-P. DE T.: Warum haben die Spanier bestimmte präkolumbianische Bauwerke zerstört und andere verschont?
     
    J.-C. C.: Manchmal einfach nur, weil sie sie nicht gesehen hatten. Das war bei der Mehrzahl der großen Maya-Städte der Fall, die damals schon seit etlichen Jahrhunderten aufgegeben und vom Urwald überwuchert waren. Und bei Teotihuacán weiter im Norden auch. Die Stadt war bereits verlassen, als die Azteken um das 13. Jahrhundert in die Gegendkamen. Dieses besessene Bemühen, alle erkennbaren Spuren zu vernichten, sagt bereits viel darüber aus, wie sehr den Eroberern ein Volk ohne Schrift wie ein auf ewig verfluchtes Volk vorgekommen sein musste. Unlängst hat man in Bulgarien in Gräbern Goldschmiedearbeiten aus dem zweiten oder dritten Jahrtausend vor unserer Zeit entdeckt. Nun haben die Thraker wie die Gallier keine Schrift hinterlassen. Und Völker ohne Schrift, die sich nicht selbst benannt und die ihre Geschichte nicht erzählt haben (und sei es auch in fiktiver Form), existieren nicht, auch wenn ihre Goldschmiedearbeiten noch so raffiniert und großartig sind. Wenn Sie wollen, dass man sich an Sie erinnert, müssen Sie schreiben. Schreiben und es so einrichten, dass das Geschriebene nicht in einem Kohlebecken in Rauch aufgeht. Ich frage mich manchmal, was die Nazis im Kopf hatten, als sie die jüdischen Bücher verbrannten. Glaubten sie, sie könnten die alle zum Verschwinden bringen, bis auf das letzte? Ist das nicht ein ebenso kriminelles wie utopisches Unterfangen? War das nicht eher ein symbolischer Akt?
    In unserer Zeit und vor unseren Augen gibt es andere Arten von Manipulation, die mich immer wieder verblüffen und empören. Da ich häufiger Gelegenheit habe, in den Iran zu fahren, habe ich einer Presseagentur vorgeschlagen, ein kleines Team mitzunehmen und das Land heute zu filmen, so wie ich es kenne. Der Leiter der Agentur empfing mich und begann mir seine Sichtweise des Landes auseinanderzusetzen, das er nicht kennt. Er sagte mir sehr genau, was ich filmen soll. Er ist es also, der darüber entscheidet, welche Bilder ich liefern soll, von einem Land, in dem er nie gewesen ist: Fanatisierte Menschen, die sich an die Brust schlagen, zum Beispiel, Drogenabhängige, Prostituierte und so weiter. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass aus dem Projekt nichts geworden ist.
    Wir sehen tagtäglich, wie irreführend das Bild sein kann. Es handelt sich um subtile Fälschungen, die umso schwerer zu erkennen sind, als sie sich als »Bild« präsentieren, das heißt als Dokument. Und schließlich, ob man es glaubt oder nicht, nichts ist leichter zu verschleiern als die Wahrheit.
    Ich erinnere mich an einen Dokumentarfilm über Kabul – eine Stadt, die ich kenne – auf einem privaten Fernsehsender. Sämtliche Aufnahmen waren aus der Froschperspektive gedreht. Man sah nur den oberen Teil vom Krieg versehrter Häuser, niemals die Straßen, Passanten oder Geschäfte. Dazu kamen Interviews mit Leuten, die alle einmütig nur vom beklagenswerten Zustand des Landes sprachen. Und die einzige akustische Untermalung war während des gesamten Films das düstere Heulen eines Windes, wie er durch Kinowüsten weht, aber als Tonschleife montiert. Das war im Schallarchiv ausgesucht und nach Belieben überall untergelegt worden. Immer dasselbe Windsausen, wie in diesem Fall ein »geschultes Ohr« erkennen konnte. Während die sehr leichte Kleidung der aufgenommenen Personen vollkommen reglos war.

Weitere Kostenlose Bücher