Die große Zukunft des Buches
die Barbaren gekommen, die über die Städte herfielen. Das ist die Rache der Südländer, die weniger Geld haben und technisch weniger weit entwickelt sind. Als Umberto Bossi, der Chef der Lega Nord, einer rassistischen Bewegung, zum ersten Mal nach Rom kam, um eine Rede zu halten, schwenkten die Leute in der Stadt Plakate, auf denen zu lesen stand: »Als ihr noch auf den Bäumen gelebt habt, waren wir schon Tunten.«
Die Leute aus dem Süden haben denen im Norden stets vorgeworfen, keine Kultur zu haben. Die Kultur ist manchmal die letzte Bastion der technologischen Frustration. In Italien hat man die Bewohner von Cuneo mittlerweile durch die Carabinieri ersetzt. Aber unsere Polizisten besaßen das Geschick, mit diesem Ruf, den man ihnen angehängt hatte, zu spielen. Was bis zu einem gewissen Grad ein Beweis ihrer Intelligenz ist.
Nach den Carabinieri kam die Reihe an Francesco Totti, den Fußballer, der ein wahres Feuerwerk an Witzen und Anekdoten ausgelöst hat. Totti reagierte, indem er ein Buch schrieb, das sämtliche Geschichten enthielt, die über ihn erzählt wurden, und den Erlös aus den Verkäufen spendete er für wohltätige Zwecke. Die Quelle hat sich selbst zum Versiegen gebracht, und alle haben ihr Urteil über ihn geändert.
Das Internet oder die Unmöglichkeit
der damnatio memoriae
J.-P. DE T.: Wie haben Sie das Verbot der Satanischen Verse erlebt? Dass es einer religiösen Autorität möglich sein kann, ein in England verlegtes Werk zu verbieten, ist das nicht etwas beunruhigend?
U. E.: Der Fall Salman Rushdie sollte uns im Gegenteil sehr optimistisch stimmen. Warum? Weil ein Buch, das von einer religiösen Autorität verurteilt wurde, in der Vergangenheit überhaupt keine Chance hatte, der Zensur zu entgehen. Mehr noch, sein Autor war in Gefahr, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verbrannt oder erdolcht zu werden. In dem universalen Netzwerk der Kommunikation, das wir ausgespannt haben, konnte Rushdie überleben, geschützt von sämtlichen Intellektuellen der westlichen Gesellschaften, und sein Buch ist nicht verschwunden.
J.-C. C.: Dennoch, die Mobilisierung, die es im Fall Rushdie gab, hat es bei anderen von einer Fatwa verdammten Autoren nicht gegeben, und sie sind ermordet worden, vor allem im Nahen Osten. Was wir sagen können, ist ganz einfach, dass das Schreiben schon immer eine gefährliche Angelegenheit war und es auch bleibt.
U. E.: Dennoch bin ich überzeugt, dass wir in der globalen Gesellschaft über alles informiert sind und entsprechend handeln können. Wäre der Holocaust möglich gewesen,wenn es das Internet gegeben hätte? Da bin ich mir nicht sicher. Die ganze Welt hätte sofort gewusst, was vorging … Dieselbe Situation in China. Auch wenn die chinesischen Machthaber sich alle Mühe geben, die Inhalte, zu denen die Internetnutzer Zugang haben, zu filtern, die Information zirkuliert trotzdem, und zwar in beide Richtungen. Die Chinesen können erfahren, was im Rest der Welt vorgeht. Und wir können erfahren, was in China vorgeht.
J.-C. C.: Um diese Zensur im Internet ausüben zu können, haben die Chinesen extrem raffinierte Verfahren entwickelt, die aber nicht perfekt funktionieren. Ganz einfach, weil die Internetnutzer immer wieder Wege finden, sie zu umgehen. In China wie anderswo auch benutzen die Menschen das Handy, um zu filmen, was sie sehen, und die Bilder schicken sie dann um die ganze Welt. Es wird immer schwieriger werden, etwas verborgen zu halten. Die Zukunft der Diktatoren sieht düster aus. Sie werden in vollkommener Finsternis agieren müssen.
U. E.: Ich denke da zum Beispiel an das Schicksal von Aung San Suu Kyi. Es ist für die Militärs sehr viel schwieriger, sie zu unterdrücken, sobald sie Gegenstand einer fast weltweiten Petitionskampagne ist. Dasselbe bei Ingrid Betancourt, wie wir sehen konnten.
J.-C. C.: Damit wollen wir aber nicht den Eindruck erwecken, dass es unserer Ansicht nach mit Zensur und Willkür in der Welt vorbei sei. Wir sind weit davon entfernt.
U. E.: Wenn sich die Zensur durch Subtraktion ausschalten lässt, so ist diejenige durch Addition schon schwerer zu beseitigen. Sie ist typisch für die Medien. Stellen Sie sich vor: Ein Politiker schreibt einen Brief an eine Zeitung, um zu erklären, dass er nicht der Korruption schuldig ist, die man ihm zur Last legt; die Zeitung veröffentlicht den Brief, plaziert ihn aber so, dass er direkt neben einem Foto seines Schreibers steht, worauf er
Weitere Kostenlose Bücher