Die große Zukunft des Buches
seinem Schutz. Abgesehen von einer kleinen Gemeinde von happy few , der ich angehöre und in der nach wie vor von ihm gesprochen wird, ist sein Ruhm in der Tat völlig verblasst.
J.-C. C.: Es gibt natürlich mehrere Arten, einen Menschen, ein Werk, eine Kultur zum Schweigen und zum Vergessen zu verdammen. Einige davon haben wir schon gesehen. Die systematische Zerstörung einer Sprache, wie die Spanier sie in Amerika betrieben, ist offensichtlich das beste Mittel, die Kultur, deren Ausdruck sie ist, endgültig unzugänglich zu machen und sie dann nach den eigenen Vorstellungen zu verbiegen. Aber wir haben gesehen, dass diese Kulturen, diese Sprachen Widerstand leisten. Es ist nicht leicht, eine Stimme für immer zum Verstummen zu bringen, eine Sprache für immer auszulöschen, sie raunt leise durch die Jahrhunderte fort. Der Fall Rushdie macht Hoffnung, da haben Sie recht. Das ist zweifellos eine der bedeutendsten Errungenschaften dieser globalisierten Gesellschaft. Eine totale und endgültige Zensur ist jetzt praktisch unvorstellbar. Die einzige Gefahr ist, dass sich die frei zirkulierende Information nicht mehr überprüfen lässt und dass wir eines nicht fernen Tages allesamt Informanten werden. Wir sprachen darüber. Informanten, die es gut meinen, mehr oder weniger kompetent, mehr oder weniger parteiisch, die damit gleichzeitig zu Erfindern und Schöpfern von Information würden und sich die Welt jeden Tag neu ausmalen. Vielleicht kommen wir so weit, dass wir die Welt nach unseren Wünschen beschreiben und diese dann für die Wirklichkeit nehmen.
Um das zu verhindern – falls wir es für nötig halten, denn schließlich ist eine erfundene Information bestimmt nicht ohne Charme –, muss man endlose Vergleiche anstellen. Und das ist todlangweilig. Ein einziger Zeuge genügt nicht, um die Wahrheit zu beweisen. Das ist genauso wie bei einem Verbrechen. Man braucht übereinstimmende Standpunkte, Zeugenaussagen. Aber meist ist die Information, die diesenkolossalen Aufwand erfordern würde, die ganze Mühe nicht wert. Und dann lässt man es bleiben.
U. E.: Doch eine Fülle von Zeugenaussagen ist nicht unbedingt ausreichend. Wir waren Zeugen der Gewalt, die die chinesische Polizei an den tibetischen Mönchen verübte. Das hat internationale Empörung ausgelöst. Wenn wir aber auf unseren Bildschirmen drei Monate lang von der Polizei geprügelte Mönche sehen, stumpft selbst das betroffenste, zum Engagement bereiteste Publikum ab. Es gibt also eine Schwelle, unterhalb derer eine Nachricht wahrgenommen wird, jenseits derer sie aber nur noch ein Hintergrundrauschen ist.
J.-C. C.: Das sind Blasen, die sich aufblähen und dann platzen. Letztes Jahr waren wir in der Blase »verfolgte tibetische Mönche«. Gleich darauf wurden wir in die Blase »Ingrid Betancourt« versetzt. Aber die eine wie die andere sind geplatzt. Dann kam die der »Subprime-Krise«, dann die Banken- oder Börsenkrise oder beides zusammen. Was wird die nächste Blase sein? Wenn sich ein schrecklicher Wirbelsturm der Küste Floridas nähert und plötzlich an Kraft verliert, meine ich bei den Journalisten fast so etwas wie Enttäuschung zu spüren. Dabei ist das für die Bewohner eine ausgezeichnete Nachricht. Wie kommt in diesem großen Netzwerk der Information die einzelne Information zustande? Wie erklärt es sich, dass eine Information um die Welt geht, für einen gewissen Zeitraum unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt und ein paar Tage später niemanden mehr interessiert? 1976 zum Beispiel arbeitete ich mit Buñuel in Spanien an dem Drehbuch zu Dieses obskure Objekt der Begierde , wir bekamen täglich die Zeitungen. EinesTages lasen wir dort plötzlich, dass in Sacré-Cœur am Montmartre eine Bombe hochgegangen sei! Überraschung und Genugtuung. Niemand hatte sich zu dem Anschlag bekannt, die Polizei ermittelte. Für Buñuel war das eine Information von fundamentaler Bedeutung. Dass jemand in der Kirche der Schande eine Bombe gelegt haben sollte, einer Kirche, die tatsächlich errichtet worden war, um »die Verbrechen der Kommunarden zu sühnen«, war ein unverhoffter Glücksfall und eine große Freude. Im Übrigen hat es immer Fürsprecher dafür gegeben, dieses Denkmal der Schmach abzureißen oder, wie zu einem gewissen Zeitpunkt die Anarchisten, rot anzustreichen.
Am nächsten Tag stürzten wir uns also auf die Zeitungen, um zu erfahren, was es damit auf sich hatte. Kein Wort mehr, nichts. Enttäuschung und Frustration. Wir
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