Die großen Vier
Leichenschau zu verhalten?», fragte ich. «Ich nehme an, dass du über deine Wahrnehmungen berichten und der Polizei eine ausführliche Beschreibung von Nummer vier liefern wirst.»
«Zu welchem Zweck? Können wir irgendetwas anführen, was eine Totenschaukommission von überaus gründlichen britischen Beamten bei der Leichenschau überzeugen würde, dass es sich um einen Mord handelt? Hat unsere Beschreibung von Nummer vier irgendwelchen praktischen Wert? Nein, wir werden sie eine vollkommen normale Todesursache feststellen lassen, und vielleicht, obwohl ich nicht daran glaube, wird unser durchtriebener Mörder sich ins Fäustchen lachen und glauben, er habe Hercule Poirot einmal täuschen können.»
Poirot sollte auch dieses Mal Recht behalten. Von dem Aufseher der Heilanstalt hörten wir nichts mehr, und der Befund, welchem ich so große Bedeutung beigemessen hatte, über den Poirot jedoch absichtlich nichts verlauten ließ, kam nicht an die Öffentlichkeit.
Da Poirot im Hinblick auf seine beabsichtigte Reise nach Südamerika bereits vor meiner Ankunft alle seine Angelegenheiten abgeschlossen hatte, war er im Augenblick nicht mit der Aufklärung anderer Fälle beschäftigt. So hielt er sich denn den ganzen Tag über in seiner Wohnung auf und blieb ziemlich einsilbig. Er saß in seinem Lehnsessel versunken und wusste stets meinen Bemühungen, eine Unterhaltung anzuknüpfen, auszuweichen.
Eines Morgens jedoch, ungefähr eine Woche nach dem Mord, fragte er mich, ob ich Lust hätte, ihn zu begleiten, da er die Absicht habe, einen Besuch zu machen. Ich stimmte freudig zu, denn ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass er nicht gut daran tat, wenn er versuchte, den Fall allein zu lösen, und ich brannte darauf, die Sache mit ihm zu besprechen. Er war jedoch weiterhin gar nicht mitteilsam. Er würdigte mich nicht einmal einer Antwort, als ich fragte, wohin wir uns begäben. Poirot liebte es nun einmal, sich mit Geheimnissen zu umhüllen. Stets war er bestrebt, seine Informationen bis zum letzten Augenblick zurückzuhalten, und dieses Mal würde es auch nicht anders sein. Nachdem wir nacheinander einen Bus und zwei Straßenbahnen benutzt hatten, gelangten wir in die Umgebung einer der schäbigsten Vorstädte südlich von London. Erst dann bequemte er sich zu einer Erklärung.
«Wir gehen jetzt zu einem Mann, Hastings, der in England als größter Kenner der chinesischen Untergrundbewegung gilt.»
«Tatsächlich, wer ist das?»
«Es ist ein Mann, dessen Name dir völlig neu ist – Mr John Ingles. Er ist irgendein pensionierter Staatsbeamter und besitzt ein Haus, voll von chinesischen Raritäten, mit welchen er seine Freunde und Bekannten langweilt. Trotzdem weiß ich von Leuten, die ihn näher kennen, dass er der einzige Mann ist, der mir die Informationen geben kann, die ich brauche.»
Nach kurzer Zeit betraten wir die Stufen von «The Laurels», wie Mr Ingles’ Haus benannt war. Ich konnte nirgends auch nur eine Spur irgendwelcher Lorbeersträucher entdecken, doch es war wohl einer der üblichen Namen in dieser Gegend. Wir wurden von einem chinesischen Diener eingelassen und zum Arbeitszimmer seines Herrn geleitet. Mr Ingles war ein Mann von untersetzter Statur, einem etwas gelblichen Gesicht und tief liegenden Augen, die seltsam nachdenklich blicken konnten. Er erhob sich, um uns zu begrüßen, und legte einen Brief, den er gerade überflogen hatte, zur Seite. Nach der Begrüßung kam er sogleich zur Sache.
«Wollen Sie bitte Platz nehmen? Halsey schreibt mir hier, dass Sie einige Informationen in einer bestimmten Angelegenheit wünschen, und nimmt an, ich könnte Ihnen hierin behilflich sein.»
«Das ist vollkommen richtig, Monsieur. Ich möchte Sie bitten, mir mitzuteilen, ob Ihnen ein Mann namens Li Chang Yen bekannt ist.»
«Das ist seltsam, wirklich sehr seltsam! Wie kommen Sie auf diesen Mann?»
«Sie kennen ihn also?»
«Ich habe ihn einmal gesehen. Und ich weiß etwas über ihn – jedoch nicht so viel, wie ich gerne möchte. Immerhin bin ich ziemlich überrascht, dass jemand in England auch nur von ihm gehört hat. Er ist ein bedeutender Mann – auf seine Art –, ein Mandarin, also ein hoher Würdenträger, aber das ist nicht die Hauptsache. Es besteht ein guter Grund zu der Annahme, dass er, als Mann im Hintergrund, für alles verantwortlich ist.»
«Für alles?»
«Ja, für alles, für die Unruhe in der ganzen Welt, die Störungen des Arbeitsfriedens, von denen jede Nation befallen
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