Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Mazzeri am Dienstag abend getan hatten, aber als Täter kamen sie für ihn eigentlich nicht in Frage.
Während er nachdenkliche Fragezeichen in seinen Notizblock kritzelte, fiel sein Blick auf ein hellblaues Blatt Papier, das auf dem Schreibtisch lag. Er hatte es am Samstag von seinem Journalistenkontakt in Brüssel bekommen. Es war eine Pressemitteilung über das Seminar vom Dienstag in der Solvay-Bibliothek, dieselbe Pressemitteilung, die Fabien Lenormand veranlaßt hatte, dorthin zu gehen, um Kontakt mit Stéphane Berger aufzunehmen.
Er drehte das Papier um und las zum ersten Mal die Namen sämtlicher Teilnehmer der Podiumsdiskussion, von der Berger abgesprungen war. Da stand der Name noch einer Person, die in den Ermittlungen vorkam, einer Person,die Fabien Lenormand mehrere Male anzurufen versucht hatte. Aber diese Person konnte kaum Gründe haben, den Journalisten zu ermorden. Ja, und, dachte Christian, er suchte ja nicht vorrangig nach Motiven. Er suchte nach Fakten. Fabien Lenormand hatte mit seinem Tonbandgerät vor der Solvay-Bibliothek gestanden und auf die Diskussionsteilnehmer gewartet. Auch wenn Berger seine erste Zielscheibe war, düfte er zumindest versucht haben, ein paar Worte mit dem Mann zu wechseln, dessen Namen Christian gerade unterstrichen hatte.
Er nahm sich vor herauszufinden, ob das der Fall gewesen war.
Aber zuerst, dachte er, müßte er im kommunalen Polizeigebäude und bei Jean-Paul Debacker anrufen, um zu hören, ob die Untersuchung des Mordes an Birgitta Matsson möglicherweise zu Spuren geführt hatte, die in dieselbe Richtung zeigten.
– Hallo, de Jonge, sagte Debacker, ich habe gerade daran gedacht, dich anzurufen. Wir haben etwas herausgefunden, das ziemlich … interessant wirkt. Aber eine Verbindung zu dem Mord sehe ich nicht.
Die kommunale Polizei hatte herausgefunden, wem das verfallene Haus, aus dem Birgitta Matssons Mörder geschossen hatte, gehörte. Die Besitzerin war eine neunzigjährige Dame, die das Haus von ihren Eltern geerbt und dort als Erwachsene bis 1952 gewohnt hatte. Ihr Name sagte Christian nicht das geringste, worauf er Debacker hinwies.
– Nein, sagte Debacker, der bringt bei mir auch keine Glocken zum Läuten. Aber dann bekamen wir Besuch von einem alten Kollegen, Inspektor Blommaert. Du kennst ihn? Nein, klar, du bist ja nicht aus dieser Gegend. Er ist etwas über achtzig, aber hellwach und völlig klar im Kopf. Erwar Ewigkeiten Kontaktinspektor hier im zentralen Villette, unter anderem in den Vierteln um den Bahnhof. Und er hat erzählt, daß er in den vierziger Jahren mehrfach in dieses Haus reingeschaut hat, weil sich die beiden Söhne der Besitzerin damit amüsierten, vom Fenster im Obergeschoß aus mit dem Luftgewehr auf die Tauben auf der Place de la Gare zu schießen. Es kam vor, daß sie Leute in die Beine trafen. Einmal haben sie es sogar geschafft, einen Mops zu erledigen. Blommaert konnte sich an die Namen der Jungen nicht erinnern, aber die konnten wir ja leicht rausfinden, weil wir den Namen der Besitzerin hatten.
– Und? sagte Christian und hielt den Atem an.
Debacker nannte zwei Namen.
Einer von ihnen war der Name des Mannes, den sich Christian, das hatte er gerade beschlossen, genauer ansehen wollte.
Der Wandschrank nahm die ganze Breite des Raums ein und war groß und tief wie eine Kleiderkammer.
– Klettern Sie die Leiter rauf, schnell, flüsterte Stéphane Berger und zog mit einem schwachen Klicken die Wandschranktür zu. Der Ton in seiner Stimme bewirkte, daß es Martine kalt überlief, etwas Dringendes und Erregtes, das ihr sagte, daß sie sich in tödlicher Gefahr befanden.
Obwohl die Tür jetzt geschlossen war, war es nicht ganz dunkel im Wandschrank. Martine sah einen schwachen Streifen Tageslicht, der aus einer offenen Luke in der Decke sickerte. Eine kräftige Holzleiter hing in steilem Winkel zum Boden aus der Luke herunter.
– Beeilen Sie sich doch, zischte Berger und schob sie zur Leiter. Sie fing an zu klettern, so schnell sie es mit ihren hohen Absätzen konnte. Ihr Herz klopfte so schnell undhart, daß sie das Gefühl hatte, daß der ganze Brustkorb vibrierte. Die Leitersprossen fühlten sich unter ihren kalten, schweißigen Handflächen schlüpfrig an. Sie war im Begriff, das Papier, das sie von Denisot bekommen hatte, zu verlieren, und hielt eine Sekunde inne, um es in die Jackentasche zu stecken. Berger kam hinter ihr, so nahe, daß sie seinen warmen Atem an den Beinen spürte. Sie hörte, daß jemand an
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