Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
und sagte, daß die Polizei jetzt zu den Razzien aufbrechen würde, schlug sie vor, daß Julie mit einem der Polizeiwagen mitfuhr und sie mit dem eigenen Wagen nachkam.
Während die Finanzermittlungsbeamten aus dem Justizpalast methodisch Bergers Haus durchsuchten, schlenderten Martine und Julie eher planlos herum. Sie blieben in dem gelben Raum zum Fluß hin stehen, dem Raum, in dem sie mit Stéphane Berger gesprochen hatten. Etwas schien dort anders zu sein.
– Schau mal, mehrere Bilder sind weg! sagte Martine.
Julie sah sich um.
– Ja, du hast recht, sagte sie, die beiden Bilder von deiner Schwiegermutter sind verschwunden, das sehe sogar ich.
Berger hatte dafür gesorgt, daß die verschwundenen Bilder keine Lücken an den Wänden hinterließen, deshalb war ihnen nicht sofort aufgefallen, daß etwas fehlte. An der Stelle, wo »Schnell jagt der Sturm unsere Jahre« gehangen hatte, hing eine gedruckte Reproduktion in einem goldfarbenen Plastikrahmen, ein Bild eines stattlichen Hirschbullen mit erhobenem Kopf und einem unwahrscheinlich rosafarbenen Sonnenuntergang im Hintergrund.
– »Hirsch im Gegenlicht«, sagte Martine, genau die Art von Bild, wie sie dem Artikel in Paris Match zufolge Inspektor Bruno wahrscheinlich gefallen würde. Ich glaube, Monsieur Berger hat sich einen Scherz mit uns erlaubt.
– Und schau mal hier, wo das Bischofsbild hing, ein entzückendes Katzenjunges, sagte Julie, genauso, finde ich, soll ein Bild aussehen.
Außer Eva Lidelius’ Bildern waren noch zwei weitereGemälde durch billige Massendrucke ersetzt worden. Die Originalkunst, die noch dahing, waren meist Lithographien und andere graphische Blätter, weniger wert als die Gemälde.
– Er ist abgehauen, stellte Martine fest, er hat nicht vor, hierher zurückzukommen.
Nach vier Stunden beendeten die Ermittlungsbeamten ihre Hausdurchsuchung. Da hatten sie jeden Schrank geöffnet, jede Schublade herausgezogen, jedes Buch aus den Regalen genommen, jeden Teppich angehoben und an jede Wand geklopft. Ihre Funde waren in Kisten gesammelt, die jetzt in der Halle standen, um zum Justizpalast transportiert zu werden.
Darin waren unter anderem ein Schreibtischkalender, ein paar Ordner mit Korrespondenz, eine Schreibtischunterlage mit kryptischem Gekritzel darauf, ein paar Blöcke mit gelben und weißen Klebezetteln, ein vollgekritzeltes Notizbuch, das neben dem Telefon im Arbeitszimmer gelegen hatte, und mehrere Mappen, die Zeitungsartikel enthielten, viele Abschnitte mit farbigem Filzschreiber markiert. Martine registrierte erstaunt, daß mehrere der Artikel aus schwedischen Zeitungen zu kommen schienen. Aber klar, Istvan Juhász, der fünf Jahre in einer kleinen Grubenortschaft in Schweden gelebt hatte, sprach natürlich Schwedisch.
Aus der Schublade in Bergers Nachttisch hatte man einen Stapel Visitenkarten geholt, eigene und solche, die er von anderen bekommen hatte.
Martine blätterte sie durch.
– Sehen Sie, sagte sie, hier sind einige Namen, die ungarisch aussehen.
– Ja, sagte Jacques Denisot, und sehen Sie hier, auf Bergerseigenen Karten stehen all seine geheimen Telefonnummern!
Seine hellen Augen glitzerten glücklich hinter den goldgerahmten Gläsern.
Stéphane Berger benutzte mehrere unterschiedliche Visitenkarten. Da war eine Unternehmenskarte mit Telefonnummern seiner Büros in Paris und Marseille, aber auch eine mit »Stéphane Berger« als einzigem Text über dem roten Haken der Berger-Unternehmen. Das ist ja ein Hirtenstab, dachte Martine, daß ich das nicht vorher gesehen habe. Auf der Karte stand die Mobiltelefonnummer, die sie von Jean-Claude Becker bekommen hatte, und drei weitere Nummern – eine in Paris, eine irgendwo in Frankreich und eine mit einer Landesnummer, die sie nicht kannte.
– Dann sind wir wohl fertig, sagte Denisot, das wird spannend zu sehen, was die Jungens bei Berger Rebar und an den anderen Stellen gefunden haben. Fahren Sie auch mit uns zurück, Julie?
Julie sah fragend Martine an, die nickte. Sie wollte gern noch eine Weile hierbleiben, sie wußte nicht genau, warum. Aber es kam ihr so vor, als könnte sie hier in Bergers eigenem Haus besser denken. Sie hatte immer noch das Gefühl, daß ihr etwas entgangen war, daß es irgendwo in der Voruntersuchung ein Puzzleteil gab, das sie gesehen hatte und das das ganze Bild ändern würde, wenn es an die richtige Stelle kam.
– Ach so, ja, sagte Denisot, wir haben in Bergers Schreibtisch ein Papier gefunden, mit dem wir nichts anfangen
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