Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
können. Es lag in einer Art versteckter Schublade, also müßte es wichtig sein. Aber es ist viel zu alt, um etwas mit unseren Ermittlungen zu tun zu haben. Aber vielleicht ist es für Sie von Interesse.
Er reichte Martine ein vergilbtes und zerknittertes Papier und verschwand durch die Tür. Nach einer Weile hörte sie die Polizeiwagen starten und wegfahren.
Es war dunkel in der Halle und schwer, den Text auf dem Papier zu lesen. Sie ging die Treppe hinauf und in Bergers Schlafzimmer, wo sie sich an das hohe Fenster zum Fluß hin stellte.
Das Papier hatte ungleichmäßige Kanten und sah aus, als sei es aus einer Papiertüte gerissen worden. Der Text war mit dicken blauen Buchstaben geschrieben, nicht mit Tinte, eher mit Kopierstift. Er war kurz, aber bedeutsam. Den größten Raum nahmen die vielen Namenszüge ein, die meisten mit ungewohnten und unbeholfenen Buchstaben von Männern geschrieben, die es gewöhnt waren, mit ganz anderen Werkzeugen als Papier und Stift umzugehen.
Ganz unten auf dem Papier fanden sich ein Stempel und ein Namenszug, in arrogant gewandter Handschrift mit Tinte geschrieben.
Martine las das Papier wieder und wieder. Hier war es, das Puzzleteil, das alles änderte. Warum hatte sie es nicht gesehen? Aber ihr Unterbewußtsein, das cleverer sein mußte als sie selbst, hatte versucht, ihr durch die Träume den Weg zu zeigen.
Sie hörte im Erdgeschoß Schritte. Hatten Denisot und seine Männer etwas vergessen und waren zurückgekommen, oder war es Julie, die ihre Meinung geändert hatte und mit ihr fahren wollte? Sie hörte die Schritte die Treppe heraufkommen, gedämpft von dem dicken Teppich, und öffnete den Mund, um sich bemerkbar zu machen.
Sie hielt inne, als sie eine Wandschranktür hörte, die im Raum geöffnet wurde, und spürte eine Bewegung hinter sich. Ehe sie reagieren konnte, legte sich ein kräftiger Arm um ihre Taille und eine große Hand auf ihren Mund.
– Pst, zischte Stéphane Berger und zog sie in den Wandschrank.
Christian de Jonge fluchte vor sich hin. Es gab keinen Flugterminal in Hasselt, was er vermutlich hätte wissen müssen, und folglich keinen Taxistand mit praktischerweise wartenden Taxis. Was es gab, war ein kleines Flugfeld, wo Privatflugzeuge landen konnten, Privatflugzeuge wie von der Chartergesellschaft, an die sich Stéphane Berger für seine Reise nach Hasselt gewandt hatte. Er erinnerte sich, daß Berger Martine widerwillig die Informationen über seine Fluggesellschaft gegeben hatte, jetzt suchte er sie heraus und rief das Büro der Gesellschaft in Paris an, wo eine unerwartet hilfsbereite Sekretärin bestätigte, daß Monsieur Berger sich vorige Woche Dienstag an sie gewandt hatte, um nach Hasselt zu fliegen. Er hatte im letzten Augenblick angerufen, aber weil er einer ihrer Stammkunden war, hatte es sich natürlich organisieren lassen.
– Monsieur Berger vergißt immer die Zeit, wenn er mit seinen Töchtern zusammen ist, sagte die Sekretärin bewundernd, er ist ein phantastischer Vater, und seine Mädchen sind so reizend. Sie sind am Dienstag mit hergekommen und haben ihm zum Abschied zugewunken.
Die bewundernde Sekretärin hatte auch in Hasselt angerufen und eine Limousine gebucht, die Berger am Flugfeld abholen sollte. Sie hatte sie für acht Uhr bestellt und war ziemlich sicher, daß das Flugzeug wenige Minuten vor acht gelandet war.
Die Limousinenfirma, die Christian danach anrief, hatte denn auch Berger am Dienstag abend um acht am Kiewit-Flugfeld abgeholt und ihn ins Zentrum von Hasselt gefahren. Nein, zu keiner bestimmten Adresse, er hatte darumgebeten, ihn am Grote Markt, dem großen Platz im Zentrum, abzusetzen.
Letzteres gab Christian einen Hoffnungsschimmer, hier blieb möglicherweise etwas Zeit für ein Treffen mit Fabien Lenormand, aber er hatte das Gefühl, daß er mit dieser Annahme danebenlag. Daß Berger am Platz ausgestiegen war, konnte ganz einfach daran liegen, daß er sein supergeheimes Geschäftsessen in Dunkel hüllen wollte. Der Geschäftsmann, den er besucht hatte, wohnte nur ein paar Blocks vom Grote Markt entfernt, wenn Christian sich richtig erinnerte.
Und man mußte sich davor hüten, allzu komplizierte Szenarien zu entwickeln, um die Bewegungen verdächtiger Personen in Übereinstimmung mit einer vorher aufgestellten Theorie zu bringen, das war Christians feste Überzeugung. Aber wer konnte Fabien Lenormand ermordet haben, wenn nicht Stéphane Berger? Selbstverständlich mußte man herausfinden, was die Brüder
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