Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
eindrucksvollsten Sammlungen von Gegenwartskunst in Frankreich. Und es geht dem erfolgreichen Geschäftsmann Berger nicht nur um eine weitere Investition. Er verbirgt seine Gemälde nicht in Bankgewölben …«
Die Bilder zeigten Berger, wie er vor Gemälden und Skulpturen in mehreren seiner vielen Häuser posierte. Ein paar Bilder waren in dem sonnengelben Raum in der Villa in Villette aufgenommen worden, bemerkte Martine. Auf einem von ihnen sah man Eva Lidelius’ Gemälde des grauhaarigen Mannes mit dem Bischofstab.
– Und das hatte Birgitta Matsson in der Handtasche? fragte Martine. Sie hatte Debacker von ihrem Gespräch mit Annalisa Paolini erzählt.
– Das klingt, als ob wir mit Monsieur Berger sprechen müssen.
– Ich habe dich noch nie weinen sehen, sagte Daniel Lind verwundert, nicht richtig, meine ich, nur im Film.
– Ich habe wohl noch nie einen Anlaß gehabt, sagte Sophie. Sie riß noch ein Stück Haushaltspapier von der Rolle ab, um sich die Augen zu wischen und sich noch einmal zu schneuzen. Aber die Tränen flossen weiter. Es war unglaublich, wieviel Flüssigkeit im Körper war, sie mußte genug geweint haben, um einen ganzen Eimer zu füllen, seit sie inSaris Christers Lederschneiderei gestanden und mit einigen wenigen unwiderruflichen Worten für Maria und Christer Matsson die Sonne hatte erlöschen lassen. Sie hatte ihnen geholfen, das Außenministerium anzurufen, wo man gerade von der Botschaft in Brüssel die Nachricht von dem Todesfall erhalten hatte, aber dann hatte Christer das Nötige übernommen. Er war ein Organisator, das war er immer gewesen, und Sophie nahm an, daß er sich leichter aufrecht halten konnte, wenn er sich auf all die praktischen Details stürzte – Birgittas Körper nach Hause bringen lassen, die Kommune informieren, an die Beerdigung denken, versuchen, Jonas, der in Thailand unterwegs war, zu erreichen.
Maria hatte mit farblosen Wangen und Lippen stumm auf einer Bank gesessen, und Sophie, die kühle Sophie, wußte nicht, was sie tun sollte, um zu trösten und zu beruhigen, aber es gab es ja auch keinen Trost. Schließlich hatte sie sich neben Maria gesetzt und ihr über die Haare gestrichen, und das Mädchen hatte seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt, wie sie es so oft getan hatte, als sie klein war, und Sophie hatte eines der Wiegenlieder gesungen, die sie ihr damals vorgesungen hatte:
»Il était une poule brune
Qui allait pondre la lune
Pondait un p’tit coco
Que l’enfant mangeait tout chaud …«
Dann hatten sie eine Kerze für Birgitta angezündet – »aus, aus, du kurzes Licht«, dachte Sophie –, und als Freunde und Verwandte zu strömen begannen, war sie nach Granåker zurückgefahren, und dann war Daniel gekommen.
Sie sah ihren Sohn dankbar an. Sie hatte nie begriffen, wie das Nervenbündel Eskil Lind und sie, die, seit sie ein Teenager gewesen war, das Rampenlicht geliebt hatte, einsolches Kind hatten bekommen können. Von klein auf war Daniel ruhig, ernst und zielbewußt gewesen. Aufgewachsen im Licht von Fotoblitzen und Bühnenscheinwerfern, hatte er Publicity und Aufmerksamkeit immer verabscheut. Sie erinnerte sich, wie er oft auf einem Stuhl in den Kulissen der Pariser Oper gesessen und ein Buch über Regenwälder oder über die Ausrottung bedrohter Tiere gelesen hatte, unberührt von den Krisen und Temperamentsausbrüchen um ihn herum.
Als er neun war, hatte er gesagt, er würde für den Umweltschutz arbeiten, wenn er groß sei, und genauso kam es. Er war froh, daß Daniel Lind ein so gewöhnlicher schwedischer Name war, daß wenige in seiner Umgebung begriffen, wer seine Eltern waren. Er radelte zur Arbeit und sang in der Freizeit im Chor. Er war groß wie seine Mutter und dunkel wie sein Vater und sah in Sophies hingebungsvollen Mutteraugen außerordentlich gut aus.
Jetzt hatte er Kaffee für sie gemacht und aus einem Schrank im Eßzimmer eine Flasche Calvados genommen. Eigenartigerweise schien Gretas problematische Kaffeemaschine ausgezeichnet zu funktionieren, wenn Daniel sie benutzte.
– Wie trägt es Maria? fragte Daniel.
– Sie wirkt wie gelähmt, sagte Sophie, weiß und völlig stumm.
Zu ihrem Entsetzen erkannte sie, daß sie in einem Teil ihres Gehirns Marias Reaktion als denkbare zukünftige Inspiration registrierte und archivierte, vielleicht für eine Todesnachricht in einer Oper.
– So wurde sie immer, als sie klein war, sagte Daniel, wenn Christer und Birgitta stritten oder wenn sie vor etwas Angst hatte. Weißt du,
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